Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
das Wasser bei meiner Arbeitgeberin abgeliefert und damit meinen Lohn verdient hatte - etwas Brot, etwas Salz, etwas Wein -, nahm ich meinen Krug wieder auf, um die Stadt zu erforschen. Zum Schein wollte ich weitere Aufträge an Land ziehen. In Wahrheit ging ich die Straßen auskundschaften und versuchte weitere mögliche Wege in ... und aus der Stadt zu finden.
Allerdings hatte Jebus jede Menge Tore, auch wenn man nur durch ein einziges in die Stadt durfte. Ich konnte mich jedoch hinausschleichen und danach fliehen, am besten . Wohin, Chloe? Nur unter größter Anstrengung konnte ich mich auf das Auskundschaften konzentrieren. Gib nicht auf, vielleicht gibt es ja noch einen anderen Weg.
Die Vorstellung, allein und ohne Geld, als hellhäutige Frau und zu Fuß halb Israel durchqueren zu müssen, bereitete mir eine Höllenangst.
Das Auskundschaften umfasste eine ganze Reihe von Tätigkeiten, das wusste ich von meiner Ausbildung her.
Herauszufinden, wie viele Männer unter Waffen standen, welche Waffenkapazität ihnen zur Verfügung stand, ihren Bereitschafts- und Wachsamkeitsstatus, wer unter ihnen verbittert war, all das gehörte dazu. Und vieles davon ließ sich durch Beobachtung in Erfahrung bringen.
Nicht dass ich so etwas je zuvor getan hätte - ich hatte nur ein, zwei Kurse besucht, in der wir einen vorgegebenen Text durchgearbeitet hatten. Außerdem hatte ich Mimis Erzählungen vom Krieg zwischen den Staaten gelauscht, die meine Großmutter selbst erzählt bekommen hatte.
Der augenfälligste Unterschied zwischen Jebus und Mamre war, abgesehen von der befremdlichen Kinderlosigkeit, die Allgegenwart von Blut und Götzenbildern. In Mamre lebten die Menschen, allem Schlamm zum Trotz, einigermaßen rein-
lich. Hier schwemmte Blut durch die Straßen. Die Metzger arbeiteten im Freien und nahmen es hin, dass die Fliegen auf ihrem Fleisch hockten. Die Menschen achteten gar nicht auf das gerinnende Blut, in dem sie standen und in dem auch das Fleisch lag. Na gut, ich war in Ländern aufgewachsen, wo man Fleisch kaufte, indem man auf einem offenen Markt ging und dort auf eine baumelnde Tierkarkasse deutete, doch wenn ich sah, wie diese Händler mit ihrem Fleisch umgingen, bekam ich eine Gänsehaut.
Darüber hinaus deckte sich der Blutgeruch auch über alles andere. Er überzog meine Kehle und die Nasengänge und schien beinahe die Luft zu färben.
Als Nächstes stachen mir die Teraphim ins Auge. Ich hatte sie in Ashqelon, aber nicht in Mamre gesehen. Statuetten in allen Größen, von der eines Nagellackfläschchens bis zu der eines Deutschen Schäferhundes, füllten einen Laden nach dem anderen. Manche waren aus Stein, die meisten jedoch aus Lehm.
Es schien zwei Basismodelle zu geben: Ba’al mit einem gezückten Blitz in der Faust und einer Krone auf dem Kopf, die exakt wie ein Bowlingkegel aussah; und Astarte, die Muttergöttin, mit einem Seitenscheitel im Stil der Sechzigerjahre und ein, zwei strategisch positionierten Blumen auf ihrer Hüfte, die breit genug für Zwillinge war.
In einem weiteren Laden gab es schlechte Kopien ägyptischer Götter, allerdings drang sogar hier die Feinheit der ursprünglichen Vorlage durch. Würde ich so etwas herstellen und verkaufen können?, fragte ich mich fieberhaft.
Konzentration, Chloe, Konzentration.
Ich kam an zwei nebeneinander liegenden Teppichläden vorbei, die ihre Waren über die Türen gehängt hatten.
Dick gesponnene Wolle in Blau- und Grüntönen, zu einem undefinierbaren Muster gewoben, hing neben Teppichen in Gelb, Orange und Giftrot.
Der Händler nebenan hatte die Edelware: Teppiche in Gelb, die mit Lila-Blau durchzogen waren.
»Gefällt er dir, Isha?«, fragte der Verkäufer die Frau vor mir.
»Ein sehr edles Stück, das Lila stammt von den Keleti, wo es schöne Frauen wie du mühsam aus den Meeresschnecken herausgepult und dann zerquetscht haben.«
Er trat näher.
»Wegen dieser Schnecke ist es so selten und so begehrenswert. Komm, sieh nur, ich habe noch mehr.«
Er hob einen Teppich nach dem anderen an.
Der darunter war Orange mit noch blasserem Lila. Aus dem Augenwinkel beobachtete er genau ihre Miene und hielt inne, sobald er Interesse spürte.
Es war ein Spiel.
Sie kniff die Lippen zusammen.
»Willst du ihn kaufen?«, fragte er begeistert.
Sie schüttelte ablehnend den Kopf und ging weiter.
Wie jeder anständige Verkäufer lief er ihr auf die Straße nach und brüllte ihr hinterher, wie viel Rabatt er geben würde. Nur dass es sich dabei
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