Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Hofstaat erstaunt an. Bitte schau mich nicht an, dachte ich. Bitte übersieh mich.
»Das ist Blasphemie!«, schrie einer der Zekenim. »Steinigt sie!«
Sofort wurde er von seinen Stammesgefährten zum Schweigen gebracht. Pharao zu steinigen, schlug man nicht einmal im Scherz vor. RaEm und Dion starrten einander an; mir fiel auf, dass die Temperatur im Raum gestiegen war.
Meine verschiedenen Leben hatten sich an einem Ort versammelt. Mit jeder Faser meines Körpers verzehrte ich mich nach einer Zigarette. Cheftu starrte immer noch mit großen Augen auf die beiden. Dion funkelte Semenchkare wütend an. RaEm war . Pharao.
Herrschaftlich und vollkommen reglos saß Dadua auf seinem Thron. »Ich heiße dich willkommen, Semenchkare aus Ägypten. Um meiner Stammesgenossen und meines Gottes willen muss ich dich bitten, seinen Namen nicht auszusprechen.«
RaEm trug den blauen Helm, den Kriegshelm. Eine dünne Furche grub sich durch ihre nachgezogenen Brauen. Sie sah wirklich phantastisch aus - und wenn man wie ich wusste, was dieser Körper alles durchgemacht hatte, war das eine umso beeindruckendere Leistung. »ICH BIN mir deines Gottes nicht bewusst, Adon.«
Ich war beeindruckt; sie beherrschte unsere Sprache, wie sie auch immer heißen mochte: Hebräisch? Akkadianisch? Pele-stisch?
N’tan lächelte gezwungen.
»Der Name unseres Gottes lautet ICH BIN.«
Plötzlich ergab alles Sinn! Kein Wunder, dass ich nie hatte sagen können: »Ich bin.« Mit diesen Worten sagte man nicht nur etwas über die eigene Identität aus; dies war eine Aussage über die Ewigkeit, der perfekte Name für eine unergründliche Gottheit. ICH BIN war eine Umschreibung der Unendlichkeit: Ich war, was ich bin und was ich sein werde, endlos und unveränderlich.
»Wir dürfen Shadays Namen weder zum Fluchen, noch zum
Schwur verwenden; ausschließlich im Gebet und in völliger Ergebenheit sollen wir ihn anrufen«, fügte N’tan hastig hinzu.
Ich musste daran denken, wie oft mir »Gott« im Kopf herumgeisterte. Drohte mir keine Gefahr, da ich seinen wahren Namen nicht benutzt hatte?
»Als eure Götter Amun-Re, Hathor, Ma’at, als diese Götter in Ägypten gegen unseren Gott standen, da fragten eure Priester nach dem Namen unseres Gottes«, erklärte N’tan.
»Amun-Re ist genauso unerkennbar«, erwiderte RaEm steif. Ich war baff, wie geschlechtslos und zugleich schön sie war. Ob alle bemerkt hatten, dass sie eine Frau war? Oder ... ich war verwirrt. »Doch jetzt regiert der Aton. Und nur der Aton«, bekräftigte sie.
N’tan zuckte mit den Achseln. »Das tut nichts zur Sache, Pharao. Hier ist unser Gott als Shaday bekannt. Du wirst seinen Namen nicht im Munde führen.« N’tans Stimme klang eisern. Ich zuckte zusammen; er wollte Pharao Vorschriften machen? Mehr noch, er wollte RaEm Vorschriften machen?
Zu meiner Überraschung senkte sie den Kopf. »Ich werde mich bemühen, meinen Gastgebern Ehre zu bereiten.«
Dann dämmerte es mir: Ich war ihre Kontaktperson. Ich würde ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Ich musste mich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu fluchen.
»Was führt dich den weiten Weg vom Nil hierher?«, fragte N’tan.
»Es ist die Zeit des Tributs, Zeit, mit einem neuen Bruder in der Familie zu teilen«, sagte sie. »Und Dadua im Verbund mit Ägypten willkommen zu heißen.«
Alle blieben wie angewurzelt stehen: Ägypten verlangte eine Abschlagszahlung dafür, dass es die Stämme in Frieden ließ.
N’tan hatte sich zu voller Größe aufgebaut und sah ausnahmsweise wirklich aus wie ein Prophet. »Uns ehrt« - er klang, als müsste er die Worte hervorwürgen - »das Interesse eures mächtigen Landes, und wir werden Meine« - jetzt huste-te er - »Majestät gewiss reichlich beschenken, wenn er in seine fruchtbare Heimat am Fluss zurückkehrt.«
Kühl und gefasst, von Kopf bis Fuß ein Pharao, ließ RaEm ihren Blick über die Anwesenden wandern. Sie hatte gut von Hatschepsut gelernt. »Ich werde den Sommer über eure kühlen Hügel genießen und dann freudig mit den Gaben eurer knospenden Nation nach Kemt zurückkehren.«
Nach langer Stille ergriff Dadua widerstrebend das Wort. »Ihr seid eingeladen, hier zu bleiben. Mein Palast befindet sich noch im Bau, doch wir werden alle Anstrengungen unternehmen, euch den Aufenthalt angenehm zu machen.« Mimi hätte ihm ein paar Punkte in der Gastfreundschaftsnote abgezogen, weil er es erkennbar an Enthusiasmus mangeln ließ. Doch andererseits befand sich sein
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