Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
eines.
»Der Deckel ist offen«, sagte er.
»Nur Abiathar darf ihn berühren«, warnte ein weiterer Priester.
»Holt ihn«, befahl Dadua scharf.
Immer mehr winzige schwarze Punkte sah Cheftu aus der Öffnung trudeln. Er hatte eine Gänsehaut. Was war das? Was lebte in der Bundeslade? Er war nur froh, dass Chloe sich nicht im Umkreis dieses Dinges, was es auch sein mochte, befand. Er sprühte Feuer und war verpestet. Er bemerkte, dass die Umstehenden, deren Blicke fest auf die Bundeslade gerichtet waren, beim Reden auf sich selbst einzuschlagen begannen.
Eines der schwarzen Wesen landete auf ihm, als deutlich sichtbarer Punkt auf seiner weißen Tunika. Zaghaft zupfte Cheftu das Ding ab und betrachtete es im Licht des Spätnachmittags. Ein Floh. Der Thron hatte Flöhe?
»In der Wüste hat ha Moshe das Gold des ägyptischen Götzenbildes zermahlen und jene, die davor getanzt und sich ehrlos verhalten hatten, davon trinken lassen«, setzte N’tan sein Gespräch mit Dadua fort.
»Aber Uzzi’a hat sich nicht ehrlos verhalten«, wandte Dadua ein. »Er wollte nur helfen und den Gnadenthron schützen. Er war kein Heide; im Gegenteil, er war ein auserwählter Priester von gutem Stand. Und doch hat Shaday ihn getötet«, sinnierte Dadua. »Lässt er uns denn gar keinen Spielraum?«
Der Tzadik wandte den Blick ab und schloss die Augen, als versuche er etwas in seinen Gedanken zu erkennen.
»Wir glauben, unsere Beweggründe würden unsere Taten rechtfertigen«, sagte N’tan wie in Trance. »Wir glauben, wenn wir aus den richtigen Gründen das Falsche tun, wird man uns verzeihen.« Der Prophet schlug die Augen auf.
»Doch dem ist nicht so. Shaday ist die Gnade, aber er ist auch die Gerechtigkeit. Letzteres vergessen wir zu oft.«
Als hätten sie ihre Namen gehört, begannen sich die Steine in Cheftus Schärpe zu bewegen. Der Stein der Gnade und der Stein des Urteils. Konnten sie ihm hierbei von Nutzen sein? Cheftu zerquetschte den Floh und gleich darauf einen zweiten.
Abithar kam die Straße heraufge schnauft, mit geschürzten Röcken und auf mühsam stapfenden weißen Stummelbeinen. Als er den Thron erblickte, blieb er stehen.
»Der Deckel ist auf«, keuchte er. »Auf die Knie, und zwar alle! Das ist Gotteslästerung! Ihr spielt mit dem Leben!«
Die inzwischen auf zwölf Menschen angewachsene Gruppe warf sich zu Boden. Cheftu hörte nur noch das Pochen seines Herzens. Als er wieder aufsah, rückte der Hohe Priester eben seinen Brustpanzer zurecht. Die Haare standen ihm zu Berge, und sein weißes Gewand war von schwarzen Punkten übersät.
Die Flöhe.
Dadua wandte sich an sie alle.
»Uzzi’a soll ein Staatsbegräbnis bekommen. Es ist bitter, Shaday als Lektion für die Mitmenschen dienen zu müssen.«
Dadua ließ Vorkehrungen treffen, den Sitz in der Scheune eines ortsansässigen jebusischen Bauern namens Obed unterzubringen, bis der König entschieden hatte, was weiter geschehen sollte. »Ich kann das Leben der Menschen in der Stadt nicht aufs Spiel setzen«, sagte er immer wieder.
Zu der Gruppe am Gnadenthron hatten sich inzwischen weitere Priester gesellt, die von Abiathar angewiesen wurden, einige von Obeds Sensenstangen durch die Ringe zu stecken. Vorsichtig hoben sie die Lade an. Alle warteten gespannt, ob die Elohim wohl Blitze schleudern oder noch jemanden niederstrecken würden. Als nichts geschah, trugen die Priester die Lade behutsam in die Scheune hinein. Einer der Priester machte sich daran, die Sensenstangen herauszuziehen, doch Obed hielt ihn mit einer Geste zurück.
»Dann hast du aber keine Sensen mehr«, wandte ein Priester ein.
»Der Thron hat jene, die ihn berühren, mit Beulen geschlagen, ken?«, fragte Obed.
Dadua nickte.
»Ich werde mir neue kaufen«, sagte er. »Mein Leib ist unbeschnitten wie der meiner Angehörigen, doch wir werden den Thron eures Gottes in Ehren halten.«
»Wir werden euch welche bringen«, beeilte sich der Priester mit einem Blick auf Dadua zu sagen.
Dadua sah auf den Thron und meinte leise zu N’tan: »Können wir ihn hier lassen? Wird er sie töten?«
»Ich bin kein Anbeter Molekhs«, erklärte Obed.
N’tan sah Cheftu an, der den Kopf schüttelte. Hatte Dadua ihren Austausch bemerkt?
»Lo, diesem Haus wird nichts geschehen«, meinte N’tan abwiegelnd. »Wir, die wir den Thron berührt haben, werden hingegen dafür bezahlen.«
Dadua wurde fahl. »Der Tod eines Priesters reicht ihm nicht?«
»Wir haben als Nation gesündigt. Wir hatten den Befehl,
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