Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
machen.«
Meine Nackenhärchen begannen sich aufzustellen. Ein Kind und ein Riese?
»Es war nicht mal ein Soldat, nur ein Kind, und noch dazu ein dürres kleines Wiesel!«
»Vielleicht, vielleicht hatten sie niemand Besseren?«, schlug ich vor, wohlwissend, dass ich log.
Wadia tadelte mich wieder mit einem dieser Blicke.
Wahrscheinlich hatte er sie von seiner Mutter gelernt, der ausladenden Takala-dagon. »Ein Kind gegen unseren besten Krieger in den Kampf zu schicken war eine schreckliche Beleidigung. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Familie, unseren Gott und vor allem für die Serenim.« Er hielt inne, ein Märchenerzähler kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte. »Aber keiner war so wütend wie unser bester Krieger.« Er senkte die Stimme. »Nun ist unser bester Krieger ohnehin nicht der höchste Baum im Wald. Er zürnt, er kocht. Er zerbricht Möbel, reißt einer Katze die Beine aus, so wütend ist er.«
Er reißt einer Katze die Beine aus? Das war doch hoffentlich nur eine Redensart? Ich verzog das Gesicht.
»Er ruft den Himmel an, um gegen diese Schändlichkeit zu protestieren.« Wadia zog die Stirn in Falten. »Wir haben versucht, ehrenhaft zu handeln, indem wir unseren Besten gegen ihren kämpfen ließen. Das ist nur gerecht.« Er schüttelte den Kopf und zupfte am Stängel einer Feige herum. »Mit ihrem Verhalten ziehen sie unsere Ehre in den Staub.« Er seufzte tief. »Die Hochländer sind ein wilder, unzivilisierter Haufen.« Plötzlich klang er ausgesprochen reif - aber das war auch zu erwarten -, schließlich war er ein kommender König. Ein verdrehtes Paradigma.
»Hat euer Bester trotz seiner verletzten Ehre gegen diesen Jungen gekämpft?«
Wadia lutschte die letzten Reste von Feigensaft von seinen Fingerspitzen. »Schon mit dem ersten Streich war alles vorüber. Ein göttlicher Hauch aus dem Mund ihres Gottes und der andere, dieser kleine Junge, hatte unseren Vorkämpfer gefällt. Es war eine Schande.«
Plötzlich schmeckte meine Feige nach Golfball. Ich fand kaum die Stimme wieder. »Hieß euer Vorkämpfer vielleicht, ähm, Goliath?«
Er hob abrupt den Kopf. »Gol’i’at, ken. Woher hast du das gewusst?«
Ogottogott. Ich schluckte schwer. Go-li-at. »Ich bin eine Göttin, hast du das vergessen?«
»Der kleine Junge schlug unseren Riesen Gol’i’at nieder und zog später für seinen Herrscher Labayu in den Krieg. Dann wurde der andere von Labayus Hof verbannt, darum diente er zeitweise als Söldner unserem Bruderseren, Akshish von Gath. Doch nachdem Labayu in der Schlacht gegen Akshish und die anderen Serenim starb, wandte sich der andere gegen uns. Jetzt herrscht er über das Hochland, doch er ist gerissen, und man kann ihm nicht trauen.« Wadia beugte sich vor. »Er kennt keine Ehre, er achtet die Gesetze des Landes genauso wenig wie die des Himmels. Er schmäht die anderen Götter, und er trampelt auf unserem Volk und unseren Traditionen herum. Voll Eroberungslust blickt er aufs Meer, auf die Städte, mit denen wir Handel treiben.« Er beugte sich noch näher heran, bis seine Stimme fast nur noch ein Flüstern war. »Er will die Geheimnisse unserer Schmelzhütten.«
Mein Lexikon arbeitete so schnell, dass ich schon fürchtete, es könnte einen Kurzschluss geben. Bilder aus der Sonntagsschule, von Männern in Gewändern, mit Bärten und Kronen: den Ältesten, Labayu, kannte ich als Saul. Die Rolle Gol’i’ats wurde von Goliath gespielt.
»Wieso nennt ihr ihn den anderen?«, fragte ich, auf meiner Golfballfeige kauend.
»Meine Mutter hat verboten, seinen Namen auszusprechen«, erwiderte Wadia. »Doch er heißt Dadua.«
Das Lexikon ließ das nächste Bild aufblitzen: Der junge, harfespielende Teenager mit lockigem Haar und Schleuder war Dadua.
David.
Ich fürchtete umzukippen. Das war unglaublich! David und Goliath? War denn alles in der Bibel, der »hebräischen Mythologie«, die ich bislang für ein besseres Märchenbuch gehalten hatte, wahr?
» HaDerkato, ist etwas mit dir?«
»Ich brauche was zu trinken«, stieß ich hervor.
Wadia befahl den Sklaven, mir etwas zu trinken zu bringen. Genau, pelestischen Wein, der war möglicherweise stark genug. »Also«, meinte ich hüstelnd und versuchte dabei wieder einen klaren Kopf zu bekommen, »ist der andere jetzt der König der Hochländer?«
In meinem Kopf wurden die schottischen Kilts durch Yar-mulkes und die Dudelsäcke durch Widderhörner ersetzt. Nun war mir klar, worüber wir sprachen . nämlich, o Gott . über
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