Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
bekanntlich zwei Monate vor der Überflutung abgefahren bin, nur noch einen Monat, um nach Hause zurückzusegeln, ehe die Winde die Heimkehr verhindern und ich bis zum Frühjahr unter den Ausländern ausharren muss.«
Echnaton lauschte gespannt und mit ihm der gesamte Hof.
»Am letzten Tag, als ich gerade mein Schiff besteige, um heimzukommen - genau an diesem Tag! -, schickt mir der König einen Mann, der mich zu einer Audienz bringen soll. Ich mache dem Mann Vorhaltungen, denn ich bin überzeugt, dass er mich nur ablenken soll, damit man mir die Statue und den Rest meiner wenigen Habseligkeiten stehlen kann. Ich verleihe meinen Bedenken Ausdruck, woraufhin der König das Schiff bittet, im Hafen zu bleiben. Als die Audienz beim König beginnt - der von seinem Volk Zakar Ba’al genannt wird, Herr über alles -, frage ich ihn, wieso er so lange gewartet hat und warum er sich gerade heute dazu herabgelassen hat, mich zu empfangen.«
Wenaton senkte die Stimme, um Zakar Ba’al zu imitieren.
»>Ein kanaanitischer Tzadik, ein heiliger Mann, hat mir geraten, dich hier heraufzubringenc, sagt er und deutet dabei auf seinen Palast. Er steht auf einer Klippe mit Blick auf das große Grün, das dort oben im Norden noch grüner ist. Die Hügel des Festlandes sind mit Zedern bedeckt, von denen manche dicker sind als ein Ochse breit ist und andere einen Stamm haben, der dünner ist als mein Arm. Er fragt mich ganz unvermittelt, wie lange ich Ägyptens Küste schon nicht mehr gesehen habe. Fünf Monate, antworte ich.« Wenaton hielt inne und erfrischte seine Kehle mit einem Schluck Bier.
»Ich erkläre ihm, dass ich es kaum erwarten kann heimzukehren. Ich vertraue ihm an, unter welchem Fluch diese Reise gestanden hat.«
Cheftu lauschte aufmerksam, während Wenaton dem Pharao erzählte, wie Zakar Ba’al zum Beweis für seinen Auftrag ein Schreiben sehen wollte, jenes Schreiben, das Wenaton irrtümlich zur Aufbewahrung in Ägypten gelassen hatte. Dann hatte sich der König der Tsori über die ägyptischen Seefahrer lustig gemacht. »Er erzählte mir von zwei ägyptischen Gesandten, die zwei Jahre zuvor nach Tsor gereist waren, und sagte dann, er könne mir ihre Gräber zeigen. Ich hatte Todesangst. Ich bettelte ihn an, ich appellierte an seine Ehre, seine Integrität, sein frommes Herz, die Ehrlichkeit, Gnade, Gastfreundschaft, alles zusammen, damit er mir die Zedern für das Haus des Gottes überließ.«
Wenaton sah zu Boden und seine Schultern sackten herab. »Leider begann er erst mit mir zu verhandeln, als ich erwog, heimzufahren und ihm Schiffe voll mit jenem Tand zu schik-ken, an dem ihm so viel lag.«
Echnatons Nasenflügel bebten vor Zorn, doch er bedeutete Wenaton fortzufahren. Nach einer kurzen Pause erzählte Wenaton, wie er in Tsor Segel gesetzt hatte, doch sein Schiff auf der Insel Kefti Schiffbruch erlitten hatte.
Plötzlich erhob sich Echnaton, legte den Kopf zur Seite und verließ den Raum. Ohne jedes weitere Wort, ohne einen Abschied, einfach so. Die Anwesenden pressten eilends die Köpfe auf den Boden, bis die Tür zuknallte.
Cheftu lehnte sich gegen eine Säule im Schatten, lauschte den Gesandten und Adligen, die ihrem Ärger über die Situation freien Lauf ließen, und wartete darauf, dass Wenaton dem Schreiber zu Ende erzählte. Dem Gerede im Saal nach zu urteilen waren ganze Landstriche ohne Nahrung - da die örtliche Priesterschaft verjagt worden war und die kleinen Dörfer die vielen Felder nicht abernten konnten. Stattdessen hatte die Landbevölkerung neue Schreine für den Aton und neue Priester bekommen, die von ihnen versorgt werden wollten. Priestersoldaten, eine Erfindung Pharaos, durchsuchten die Häuser der Bauern, um sicherzugehen, dass keine anderen Götter oder Göttinnen angebetet wurden. Die Strafe dafür bewegte sich zwischen Sklaverei und Tod.
Unter ähnlichen Umständen hatte sich ganz Frankreich gegen seinen König erhoben, die Aristokratie ausgelöscht und alle Menschen gleich gemacht.
Doch die Ägypter hatten keine Vorstellung von Gleichheit, und ihnen fehlte auch die festgefahrene soziale Struktur des absolutistischen Frankreichs. Nur eines war unabänderlich: Die Theologie lehrte, dass Pharao König und Gott zugleich war; seinem Wort zuwiderzuhandeln bedeutete, das Gleichgewicht der Ma’at zu zerstören.
Cheftu wurde das Herz schwer; Ägypten lag im Sterben. Gleichgültigkeit tötete genauso sicher wie eine Invasion - und war vielleicht eine noch größere Katastrophe, da
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