Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
nur, die Männer so in Bann zu schlagen? Nachdem sie Cheftu verlassen hatte, hatte er verfolgt, wie sie sich durch die Ränge in der Armee und am Hof hocharbeitete. Sie war eine Zauberin, todbringend wie Circe, die eine breite Spur von gebrochenen Herzen und am Boden zerstörten Männern zurückließ.
Und jetzt führte sie wieder etwas im Schilde. Das wusste er. Vor allem, da Wenaton sich kühl weigerte, Cheftus Fragen zu beantworten, und ihm keinerlei Hilfe anbot. Die Steine schwiegen, sein Gastgeber war kurz angebunden. Chloe war im Augenblick nicht in Gefahr, doch wer wollte schon wissen, wann sich das änderte? Was hatte die Antwort der Steine zu bedeuten? »Sieh nicht auf den Götzen?« Welchen Götzen? Wie sollte ihm das helfen, Chloe zu beschützen oder zu ihr zu gelangen? Verlier nicht den Glauben, ermahnte er sich. Le bon Dieu hatte sie noch nie im Stich gelassen. Noch nie.
Tage und Wochen verstrichen, ohne dass er RaEm oder We-naton zu Gesicht bekam. Cheftu wohnte wie alle anderen den Gottesdiensten für den Aton bei. Er wurde fast verrückt vor Angst um Chloe, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, was er unternehmen sollte. Die Zeit verging viel zu schnell und viel zu langsam zugleich. Die Untätigkeit machte ihn allmählich wahnsinnig, doch die Angst davor, etwas Falsches zu tun, war noch stärker.
Er stand auf den Stufen zu Wenatons kleinem Palast, als vor seiner Nase die Tür aufgerissen wurde. Ein Chaos bot sich seinem Blick dar: Barbiere warteten in Habachtstellung und mit gezückten Arbeitsgeräten; mit Goldschmuck behängte Sklavinnen hielten geplättete Schurze bereit; Frauen forderten kreischend ein Bad und Schminke. Und mittendrin stand Wenaton mit herabhängenden Schultern und rang die Hände.
Ein Blick genügte, um Cheftu klarzumachen, dass Wenaton eben begriffen hatte, wie er von RaEm ausgenutzt wurde.
»Pharao hat sich bereit erklärt, den Botschafter zu empfangen!«, erklärte die Haushälterin außer Atem. »Doch die Herrin RaEm ist leider unauffindbar.«
Cheftu kniff die Augen zusammen. »Seit wann?«
»Ich Weiß nicht, seit wann er -«
»Seit wann RaEm unauffindbar ist«, stellte Cheftu klar.
Die Haushälterin zog die Schultern hoch. »Seit fast einer Woche?«
Cheftu drängte durch die Sklavinnen, Barbiere und die aufgebrachten Frauen. Dann legte er eine Hand auf Wenatons Arm. »Was ist passiert?«
»Sie hat alles mitgenommen«, hauchte er. »Das Geschmeide meiner Frau und die Grabbeigaben für meine Familie, die wir anfertigen ließen, ehe ich ins Ausland musste.«
Seine Stimme war matt, sein Blick trübe.
Sie hat besseren Männern als dir Schlimmeres angetan, dachte Cheftu. Doch er gestattete sich keine Bemerkung.
»Wir gehen an den Hof?«
»Ja, ja. Pharao wird uns jetzt empfangen.«
Vielleicht war das ja die Gelegenheit, Chloe zu treffen? Befand sie sich dort, in der Macht eines Menschen namens Dagon? Eines Ausländers? Eines Gesandten?
»Ich werde dich begleiten«, sagte Cheftu.
Wenaton erklärte sich, immer noch zerstreut, einverstanden und überließ es Cheftu, alles für die Audienz vorzubereiten.
Als Pharao sie von einem Streitwagen abholen ließ, wartete Cheftu bereits an Wenatons Seite. Sie drängten sich hinter den Lenker auf den Wagen. Wenaton hielt seine Perücke fest, als sie die Prachtstraße hinauffuhren.
Der Botschafter regte sich darüber auf, dass er seit zwei Jahren seine Familie nicht mehr gesehen hatte. Er hatte nicht einmal das Grab seines Vaters besuchen können, denn der Mann war gestorben, während Wenaton auf See gewesen war. Und jetzt hatte RaEm die Wertsachen mitgenommen, die Wenaton in sein Grab geben wollte. Wenaton zitterte bei dem Gedanken, seiner Frau zu erzählen, dass ihr Geschmeide gestohlen worden war. Cheftu äußerte murmelnd sein Beileid und fragte sich, was für ein Mensch wohl einen Namen wie Dagon trug.
Der Audienzsaal im großen Staatspalast stand ebenfalls den Sonnenstrahlen, den Strahlen des Aton, offen. Mit jeder noch so winzigen Hand trommelte der Gott auf die Versammelten nieder. An Echnatons Hof war fast jedes Land repräsentiert. Raunend wurde bestätigt, dass einige der Gesandten schon seit Jahren auf eine Audienz bei Pharao warteten. Manchen war verboten worden, ohne eine ägyptische Eskorte nach Hause zurückzukehren. Wenaton hatte Recht; das Imperium zerrann Pharao unter den Händen.
Die Wände des Palastes wirkten für ägyptische Verhältnisse befremdend. Keine Darstellungen von Pharao, der Wüstenvölker
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