Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
unterjochte oder unter den Göttern residierte. Stattdessen tollte Pharao mit seinen Kindern herum, mit unförmigem Kopf, ausladendem Bauch und vollen Hüften wie ein Weib. Er hatte sogar Brüste!
Cheftu musste ein überraschtes Lachen unterdrücken, als ihm auffiel, dass die meisten Höflinge ihre Kleider ausgestopft hatten, um Echnatons Leibesfülle nachzuahmen. Schmerbäuche wabbelten über langen Schurzen, und falsche Stoppelbärte imitierten Pharaos hohlwangiges Gesicht. Die Kopftücher waren ausgestopft, um Echnatons spitzen Schädel nachzuformen. Die
Frauen sahen ausgemergelt aus, hatten die Brüste flach gebunden, damit sie denen von Pharao ähnelten, und ihre Hüften mit Stoff behängt, um dem König zu gleichen, während sie auf dem Kopf die »kuschitische« kurze Perücke trugen. Wer war was? Männer und Frauen waren kaum voneinander zu unterscheiden. Am ägyptischen Hof sahen alle Menschen wie Missgeburten aus. Nur um sich der obersten Missgeburt anzugleichen, dem Pharao.
»Alle loben ihn, der mit dem Aton spricht, der den Aton anbetet, der eins mit dem Aton ist, den allerhöchsten, ruhmreichsten Echnaton!«, rief der Zeremonienmeister aus. Alle Köpfe senkten sich auf den Boden, Cheftus eingeschlossen.
»Erhebt euch, erhebt euch.«
Echnaton konnte mit seiner Stimme Knochen schmelzen lassen. Er sang mit sirenengleicher Verführungskraft. Wer ihm zuhörte, geriet unwillkürlich auf den Weg der Selbstzerstörung, und zwar ohne die geringsten Bedenken. »Sagt mir, was euch zu mir führt, damit ich mit meinen Gebeten fortfahren kann.«
Ein älterer Mann, dessen Schurz und Kopftuch betrüblich altmodisch wirkten, erhob sich. »Meine Majestät, ich habe weitere Hilferufe aus Kanaan erhalten. Der Löwe Labayu ist tot, sagt man, doch ein neuer, junger Löwe hat seinen Platz eingenommen. Sie fürchten -«
»Was haben sie zu befürchten, wo doch der Aton uns liebt und bei uns wohnt? Was ist Furcht, gemessen an der Hitze, der Macht des Aton?« Pharaos Stimme klang so sanft, so melodiös, dass fast jeder sich von seinem nichts sagenden Gewäsch über das Thema der Landesverteidigung einlullen ließ. Nur ein Gesandter nicht, dessen Volk sterben würde. Und zwar bald.
»Meine Majestät -«
»Den Aton zu umarmen, mit seiner Kraft und der Pracht seines Feuers zu verschmelzen ist der einzige Weg, wahrhaft alle Schlachten zu gewinnen.«
Der Adlige unternahm noch mehrere Anläufe, doch bei jedem wurde er mit einem Lobgesang auf den Aton unterbrochen. Schließlich gab der Mann auf und zog sich unter steifen Verbeugungen zurück.
»Der Nächste«, wandte sich Echnaton an seinen Hofstaat, an die wartenden Gesandten und Adligen, deren Begeisterung merklich abgekühlt war. »Wen habe ich berufen, mir Bericht zu erstatten?«
Wenaton erhob und verbeugte sich.
»Haii! Natürlich! Wenaton, erzähl mir von deiner Reise! Wo sind meine Zedern?« Echnaton sah sich um, als erwarte er, dass Wenaton sich ein paar Bäume auf die Schultern gepackt und in den Saal geschleift hätte.
»Aii, meine Majestät, ihr Eintreffen verzögert sich durch unabwendbare Ereignisse.«
»Wie das? Du hast dich schon jetzt um Jahre verspätet.« Der friedvolle, nachsichtige Pharao löste sich in Luft auf. Echnaton beugte sich mit zornigem Blick vor. »Ich habe doch gewusst, dass du unfähig bist!«
»In drei Wochen werden sie eintreffen, meine Majestät«, antwortete Wenaton, ohne sich, wie Cheftu erwartet hätte, einschüchtern zu lassen.
»Das ist lang«, befand Echnaton knapp.
»Ich habe viele Unbilden durchstanden«, erklärte Wenaton. »Nur aus Liebe zu meinem Land und zu meinem Lehnsherrn.« Er verneigte sich.
»Du kehrst weder mit dem Gold zurück, das ich dir mitgegeben habe, noch mit den Zedern für das Haus des Ergötzens am Aton. Wieso?«, verlangte Pharao zu wissen.
Cheftu fand sich plötzlich im Blick der bohrenden, durchdringend dunklen Augen wieder. Pharao mochte wahnsinnig sein, doch er war nicht dumm. Echnatons Blick wanderte über Cheftus Körper und kehrte dann zu Wenaton zurück.
»Meine Abreise stand unter dem Segen A-Atons«, antwortete Wenaton. »Kein Zwischenfall trübte die Reise mit dem Schiff von hier bis ins Land der Pelesti und von dort aus weiter nach Tsor, um Zedern zu holen.«
»Eine simple Reise für einen Simpel.« Echnaton rutschte auf seinem Thron herum.
Cheftus Blick wanderte über die versammelten Höflinge und Frauen. Konnte er irgendwo Chloe sehen? Würde er sie überhaupt erkennen? Er glaubte
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