Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
liebte Blut- und Brandopfer.
Es war der Gott, der Hal von Herim verlangte.
»Ist das Dadua?«, fragte ich Takala.
»Ken. Der Andere ist Dadua. Ach, und dabei war Der Andere einst einer von uns. Wie viele Jahreszeiten hindurch hat er uns beschützt und ernährt? Wie viele Jahreszeiten hindurch haben wir ihn wie einen Sohn behandelt, nur damit er nun über uns herfällt wie ein hungriger Wolf?«
Die Hochländer fuhren mit ihren einstudierten Wechselreden fort und schienen dem mittlerweile vom Feuer umrahmten Mann Mut zu machen. »Möge Er all deine Herzenswünsche erfüllen und deine Schlachtpläne mit Erfolg segnen. Wir rufen unsere Freude über den Sieg hinaus und erheben unsere Standarten zu Ehren Shadays. Möge El deine Bitten erhören!«
Dann rief eine einsame Stimme, eine andere Stimme, über das ganze Tal hinweg: »Der Unveränderliche errettet Seine Gesalbten; Er antwortet jenen, die auserwählt sind, von der Höhe des Himmels aus, mit der Kraft Seiner rechten Hand.«
Der Mann vor dem Feuer sprach wieder. »Manche verlassen sich wie Toren auf Streitwagen und Pferde. Sie glauben, ihre Schnelligkeit und ihre Brustpanzer könnten ihnen den Sieg eintragen. Doch wir ...« Er hielt inne. »Doch wir, woran glauben wir?«
»Wir glauben an den Namen Gottes!«
»Die anderen werden in den Staub geworfen!«, schrie er.
Die Menge stöhnte auf. »Sie sinken auf die Knie -« Der Mann spielte das nach und sank auf die Knie, als könnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Die Hochländer lachten.
»Sie vergehen, sie fallen.« Seine Worte tropften in eine erwartungsvolle Stille. »Wir aber, die wir erwählt sind von el haShaday, die wir durch ganz Kanaan wandern, wir erheben uns und stehen fest!«
Chaos! Die Männer sprangen auf und tanzten, sangen, weinten wie besessen. Ein Wechselgesang unterstrich das Treiben. »Shaday, errette Dadua. Erhöre sein Flehen! Shaday, errette Dadua! Erhöre sein Flehen! Shaday, errette Dadua! Erhöre sein Flehen!« Ich sah den Mann im Feuerschein erglühen. Er hatte die Augen geschlossen und tanzte ebenfalls. Jeder Derwisch hätte ihn um seine Bewegungen beneidet. Als ich den Kopf wandte, sah ich die Soldaten der Pelesti in ihren Schurzen, aber unbehelmt, zum Plateau aufstarren.
Schon jetzt zeichnete sich in ihren Gesichtern die Niederlage ab. Offenbar hatte man schon viel früher psychologische Kriegsführung betrieben, als ich geglaubt hatte.
»Sein Gott gewährt ihm alles, worum er bittet«, kommentierte einer von ihnen. »Selbst falls wir morgen siegen, können wir die Jebusi nicht ewig verteidigen. Er wird sich das Tal nehmen.«
»Jebus kann er auf keinen Fall einnehmen«, meinte ein anderer. »Wir haben das jahrzehntelang vergeblich versucht.«
»Ich wünschte, er würde tot umfallen«, spie Takala. »Dann würden die Mütter der Pelesti keine Söhne mehr verlieren. Yamir wird gegen Den Anderen kämpfen, bis unsere Hoffnungen auf Kinder im Blut der Väter ertrinken.«
Ich hörte ihnen zwar zu, doch ich beobachtete dabei die Männer auf dem Hügel. Ganz plötzlich eilten sie auf den Sprecher zu und hoben ihn auf ihre Schultern. Sie wirkten wie eine Fußballmannschaft nach einem gewonnenen Spiel, doch dann hörte ich ihre Worte, ihre Rufe durch das ganze Tal hallen, bis in die Herzen jener, die schon jetzt geschlagen, besiegt, halb tot waren. »Einen Segen hat Er gegeben! Den Segen des Landes und Chesed!«
Sobald Cheftu hier auftauchte, würden wir uns auf die Sok-ken machen! Ich hatte alles, weswegen ich gekommen war; jetzt war es höchste Zeit, nach Hause zu gehen. Was oder wo auch immer das sein mochte - hier war es auf keinen Fall.
»So beenden sie wieder einen Tani'n«, erklärte der Soldat direkt neben mir. Er war älter und sein Haar schon ergraut, doch seine Brauen waren immer noch dunkel und buschig. »Vor jeder Schlacht tanzen sie sich in einen Blutrausch.«
Der Rest seiner Erklärung hing unausgesprochen in der nach Rauch schmeckenden Luft: Und dadurch machen sie sich unbesiegbar.
Schweigend kehrten wir in unsere Zelte zurück. Bevor ich die Augen schloss, begriff ich, dass die Hochländer in zweierlei Hinsicht erfolgreich gewesen waren. Einerseits hatten sie dem Gegner durch diese ausgetüftelte Vorführung den Schneid abgekauft; zweitens hatten sie dafür gesorgt, dass jeder im Lager mindestens drei Stunden Schlaf verlor, denn es stand außer Frage, dass die Männer die verbleibenden zwei Stunden bis zur Morgendämmerung voller Angst durchwachen
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