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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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und rief laut: »Wilhelm, lieber Engel! Das ist deine Totenfeier, dies dein Grabgesang!« Als ich diese Worte sprach, bemerkte ich in der Dunkelheit eine Gestalt, die sich hinter einer Baumgruppe in meiner Nähe hervorstahl. Ich stand wie gebannt und sah angespannt hin: ich konnte mich nicht irren. Ein Blitz beleuchtete das Wesen und enthüllte mir deutlich seine Umrisse; seine riesige Statur und seine Mißgestalt, gräßlicher, als sie den Menschen eigen ist, klärten mich sofort darüber auf, daß es das Scheusal war, der gemeine Dämon, dem ich das Leben gegeben hatte. Was machte er da? Konnte er (mich schauderte bei der Vorstellung) der Mörder meines Bruders sein? Kaum fuhr mir dieser Gedanke durch den Kopf, war ich von seiner Wahrheit überzeugt. Mir klapperten die Zähne, und ich mußte an einem Baum Halt suchen. Die Gestalt eilte an mir vorbei, und ich verlor sie in der Dunkelheit aus den Augen. Kein menschliches Wesen konnte dieses liebe Kind umgebracht haben. Er war der Mörder! Ich konnte nicht daran zweifeln. Allein schon das Auftauchen des Gedankens war ein unwiderlegbarer Beweis für die Tatsache. Ich dachte daran, den Unhold zu verfolgen. Doch das wäre vergeblich gewesen, denn der nächste Blitz zeigte mir, wie er in den Felsen der nahezu senkrechten Wand des Mont Salêve hing, eines Berges, der Plainpalais im Süden abgrenzt. Bald erreichte er den Gipfel und verschwand.
    Ich blieb wie erstarrt stehen. Der Donner hörte auf, doch es regnete immer noch, und die Landschaft war in undurchdringliche Dunkelheit gehüllt. Ich ließ mir die Ereignisse durch den Kopf gehen, die ich bisher zu vergessen gesucht hatte: den ganzen Verlauf meiner Fortschritte bis zu seiner Erschaffung, das Auftauchen des lebendigen Werks meiner Hände an meinem Bett, sein Verschwinden. Fast zwei Jahre waren inzwischen seit der Nacht vergangen, als er das Leben empfing; und war dies sein erstes Verbrechen? Ach! Ich hatte ein entartetes Scheusal auf die Welt losgelassen, das sich an Blutvergießen und Leiden ergötzte. Hatte er nicht meinen Bruder ermordet?
    Niemand kann sich vorstellen, welche Seelenqual ich den Rest der Nacht durchlitt, die ich frierend und durchnäßt im Freien verbrachte. Doch ich spürte die Unbilden des Wetters nicht. Meine Gedanken malten sich fieberhaft Szenen des Unheils und der Verzweiflung aus. Ich sah das Wesen, das ich inmitten der Menschheit ausgesetzt und mit dem Willen und der Fähigkeit ausgestattet hatte, grauenhafte Dinge wie die gerade begangene Tat zu bewirken, fast in einem Licht, als wäre es mein eigener Vampir, mein eigener Geist, aus dem Grabe losgelassen und nunmehr alles zu vernichten gezwungen, was mir lieb und teuer war.
    Der Morgen graute. Ich lenkte meine Schritte zur Stadt. Die Tore waren offen, und ich eilte zum Haus meines Vaters. Mein erster Gedanke war, zu enthüllen, was ich von dem Mörder wußte, und seine sofortige Verfolgung zu veranlassen. Doch als ich daran dachte, was ich zu erzählen hätte, stockte ich. Ein Wesen, dem ich selbst Gestalt gegeben und Leben eingeflößt hatte, war mir um Mitternacht zwischen den Steilhängen eines unzugänglichen Berges begegnet. Ich erinnerte mich auch daran, daß mich das Nervenfieber genau zu der Zeit befallen hatte, aus der ich mein Geschöpf datierte, und das hätte meiner ohnehin unwahrscheinlichen Erzählung den Anstrich eines Fieberwahns gegeben. Ich wußte wohl, wenn jemand anderes mir eine solche Eröffnung gemacht hätte, hätte ich das als Gefasel des Wahnsinns angesehen. Außerdem würde das Wesen mit seiner eigentümlichen Konstitution jeder Verfolgung entgehen, selbst wenn man mir so weit glaubte, daß ich meine Verwandten dazu überreden könnte. Und dann, was würde die Verfolgung nützen? Wer konnte ein Geschöpf festsetzen, das imstande war, die überhängenden Steilwände des Mont Salêve zu erklimmen? Diese Überlegungen bestimmten mich, stumm zu bleiben.
    Es war etwa fünf Uhr morgens, als ich das Haus meines Vaters betrat. Ich befahl den Dienstboten, die Familie nicht zu wecken, und ging in die Bibliothek, um ihre gewohnte Aufstehzeit abzuwarten.
    Sechs Jahre waren vergangen, verstrichen wie ein Traum bis auf die eine unauslöschliche Spur, und ich stand auf demselben Fleck, wo ich zuletzt vor meiner Abreise nach Ingolstadt meinen Vater umarmt hatte. Geliebter, ehrwürdiger Vater! Er war mir noch erhalten geblieben. Ich betrachtete das Bildnis meiner Mutter, das über dem Kamin hing. Es war ein historisches Thema,

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