Frankenstein
hauptsächlich damit beschäftigt, mir die notwendige Auskunft für die Erfüllung meines Versprechens zu beschaffen, und bediente mich umgehend der mitgebrachten Empfehlungsschreiben an die hervorragendsten Naturforscher.
Hätte diese Reise während meines Studiums und in der Zeit meines Glücks stattgefunden, hätte sie mir unsagbare Freude gemacht. Doch ein Gifthauch hatte mein Leben getroffen, und ich suchte diese Leute nur deshalb auf, weil sie mir Informationen zu der Sache geben konnten, an die mich ein so abgründiges Interesse band. Gesellschaft war mir lästig. War ich allein, konnte ich mein Gemüt an den Bildern von Himmel und Erde laben. Henris Stimme beruhigte mich, und so konnte ich mir vorübergehend Frieden vorspiegeln. Doch betriebsame, uninteressante, fröhliche Gesichter brachten die Verzweiflung in mein Herz zurück. Ich sah eine unüberwindliche Schranke zwischen mir und meinen Mitmenschen aufgerichtet; diese Schranke war mit Wilhelms und Justines Blut geschlossen. Und über die mit diesen Namen zusammenhängenden Ereignisse nachzudenken, erfüllte meine Seele mit Qual.
In Clerval jedoch sah ich das Abbild meines früheren Ich. Er war wißbegierig und brannte darauf, sich Erfahrungen und Lehren anzueignen. Der Unterschied in den Sitten und Gebräuchen war für ihn eine unerschöpfliche Quelle der Unterrichtung und Unterhaltung. Er verfolgte auch ein Ziel, das er schon lange im Auge hatte. Er plante Indien zu besuchen, und zwar in der Überzeugung, auf Grund seiner Kenntnis der verschiedenen Landessprachen und der zu den dortigen gesellschaftlichen Verhältnissen gewonnenen Einsichten in der Lage zu sein, der Entwicklung europäischer Kolonisierung und merkantiler Erschließung tatkräftig voranzuhelfen. Nur in England konnte er die Verwirklichung seines Plans fördern. Er war stets beschäftigt. Der einzige Dämpfer für seine Freude war meine traurige und niedergeschlagene Stimmung. Ich versuchte diese soweit wie möglich zu verbergen, um ihn nicht an den Vergnügungen zu hindern, die für jemanden, der unbelastet von jeder Sorge oder bitteren Erinnerung einen neuen Schauplatz des Lebens betrat, nur zu natürlich waren. Ich lehnte es oft ab, ihn zu begleiten, und schützte eine andere Verabredung vor, um allein bleiben zu können. Jetzt begann ich auch die notwendigen Materialien für mein neues Geschöpf zu sammeln, und das war für mich etwas wie die Foltermethode, bei der einem beständig einzelne Wassertropfen auf den Kopf fallen. Jeder Gedanke, der ihm galt, war äußerste Pein, und jedes Wort, das ich in irgendeinem Zusammenhang damit sprach, ließ meine Lippen erbeben und mein Herz stürmisch pochen.
Nachdem wir einige Monate in London verbracht hatten, bekamen wir einen Brief von einem Mann in Schottland, der einmal in Genf unser Gast gewesen war. Er zählte die Schönheiten seines Landes auf und fragte an, ob sie für uns nicht verlockend genug seien, unsere Reise nordwärts bis nach Perth auszuweiten, wo er wohnte. Clerval war begeistert dafür, diese Einladung anzunehmen; und ich, obzwar ich Gesellschaft verabscheute, wollte gern einmal wieder Berge und Flüsse sehen und all die wundersamen Werke, mit denen die Natur ihre auserwählten Wohnstätten schmückt.
Anfang Oktober waren wir in England eingetroffen, und jetzt war es Februar. Wir einigten uns also darauf, nach Ablauf eines weiteren Monats unsere Reise gen Norden anzutreten. Bei diesem Abstecher wollten wir nicht der Hauptstraße nach Edinburgh folgen, sondern Windsor, Oxford, Matlock und die Cumberlandseen besuchen, so daß wir etwa Ende Juli am Ziel dieser Reise anzukommen gedachten. Ich packte meine chemischen Instrumente zusammen, dazu die Materialien, die ich gesammelt hatte, und nahm mir vor, meine Arbeit in irgendeinem abgelegenen Winkel im nördlichen Hochland von Schottland zu Ende zu bringen.
Am 27. März verließen wir London und blieben ein paar Tage in Windsor, wo wir den schönen Wald durchstreiften. Das war für uns Gebirgler ein neuer Anblick; die majestätischen Eichen, das zahlreiche Wild und die Rudel stattlicher Hirsche war alles neu für uns.
Von dort aus fuhren wir nach Oxford. Als wir diese Stadt betraten, waren wir von der Erinnerung an die Ereignisse erfüllt, die sich dort mehr als ein und ein halbes Jahrhundert vorher abgespielt hatten. Hier hatte Karl I. seine Truppen zusammengezogen. Diese Stadt war ihm treu geblieben, nachdem die ganze Nation seine Sache verraten hatte, um sich der Flagge
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