Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
wehten, drang aus dem Dachboden ein verstörendes Klicken und Klappern, wie von dem fleischlosen Körper des Todes, der unter seinem Kapuzenumhang rasselte, da er durch die Nacht lief. Noch schlimmer als das, was ihn oben erwarten mochte, war das, was ihn unten vielleicht erwartete: Eine schmale Wendeltreppe aus steinernen Stufen führte zu einer eisenbeschlagenen Tür hinunter, und hinter der Tür befanden sich die Räume eines verbotenen Kellers, in dem die abgestandene Luft manchmal den scharfen Geruch von verdorbenem Nierenfett hatte und zu anderen Zeiten den salzigen Geruch von Tränen.
Hier in diesem alten Krankenhaus waren die beiden letzten kreischenden Laute aus einem anderen Stockwerk gekommen, doch er hätte nicht sagen können, ob sie von oben oder von unten kamen. Er ging auf die Treppe am Ende des Korridors zu, öffnete die Feuerschutztür und wartete, wobei er sich fast so vorkam, als könnte er dieses ihm allzu gut bekannte Szenario träumen, es aber in eine neue Umgebung verlegt haben.
In dem vertrauten Alptraum machte das Grauen davor, sich auf den Dachboden zu begeben, oder der glühende Wunsch, nicht in den Keller zu gehen, immer die gesamte Handlung aus, ein endloser elender Weg durch die Räume, die zwischen diesen beiden Polen des Grauens lagen, während er bestrebt war, sowohl die höchsten als auch die tiefsten Räumlichkeiten des Hauses zu meiden.
Jetzt fiel das Kreischen von oben durch den Treppenschacht des Krankenhauses. Und da es deutlicher zu hören war als bisher, klang es flehentlich und kläglich.
Wie die jämmerlichen Rufe, die ihn manchmal in seinem spärlichen Schlaf heimsuchten.
Deucalion stieg die Stufen zu den höheren Regionen der Barmherzigkeit hinauf.
In dem alten Haus aus Stein, das vielleicht früher einmal ein wirklich vorhandener Ort gewesen war oder auch nur in seiner Fantasie existierte, hatte er viele Male seinen Weg in den Keller geträumt, aber nie weiter als bis in den ersten Raum. Dann war er immer aufgewacht, von unsäglichem Grauen gepackt.
Zweimal hatte er im Traum mit einer Öllampe den Dachboden des Hauses betreten. Beide Male hatte draußen ein heftiges Unwetter getobt. Starke Windstöße brausten durch den Raum dort oben, rissen ihn schlagartig aus dem Schlaf und schleuderten ihn in Qualen, ausgelöst durch den Anblick, den der Schein der Lampe enthüllt hatte.
Als er jetzt im Krankenhaus die Treppe hinaufstieg, hatte Deucalion das Gefühl, er liefe Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren, und er legte eine Hand auf das Geländer.
Er war aus Leichenteilen zusammengesetzt, die von einem Gefängnisfriedhof stammten. Seine Hände waren groß und stark. Es waren die Hände eines Würgers gewesen.
Als Deucalion eine Etage über Victors Zentrallabor die Tür
zum Korridor erreichte, hörte er wieder das Kreischen, und das Geräusch hatte seinen Ursprung immer noch über ihm. Während er weitere Stufen hinaufstieg, beobachtete er, wie seine kräftige Hand über das Geländer glitt.
Seine Augen stammten von einem Axtmörder.
Er ahnte, dass das, was er in den höheren Hallen der Barmherzigkeit zu sehen bekommen würde, nicht weniger grässlich sein würde als das, was der Schein der Lampe ihm auf dem Dachboden des Hauses in seinem Traum gezeigt hatte. In dieser verhängnisvollen Nacht fügten sich die Vergangenheit und die Gegenwart zusammen wie die Hälften eines nuklearen Sprengkopfs, und die Zukunft nach der Atomexplosion war unbekannt.
29.
Die Folter des ständigen Bewusstseins. Die Folter der Kälte. Die Folter des transparenten polymeren Gewebes. Die Folter der Glastür des Gefrierschranks.
Während es in der salzhaltigen Lösung treibt, kann Chamäleon den großen Raum sehen, in dem es gelagert wird. Eine blaue Kulisse. Das Blau von Kältebildern.
Dort draußen im Laboratorium geht die Arbeit weiter. Emsige blaue Leute. Vielleicht sind sie ZIELOBJEKTE. Vielleicht sind sie AUSNAHMEN.
Wenn es sich nicht im Zustand der Kältekonservierung befindet, kann Chamäleon den Unterschied zwischen ZIELOBJEKTEN und AUSNAHMEN riechen.
Der Geruch jeder AUSNAHME ist Chamäleon angenehm. Der Geruch jedes ZIELOBJEKTS versetzt es in Wut.
Unter den gegebenen Umständen kann es nichts riechen.
Die Wände des Gefrierschranks leiten die Vibrationen des Kompressormotors des Geräts in den Sack, der Chamäleon gefangen hält. Der Sack leitet sie in die Salzlösung weiter.
Dieses Gefühl ist Chamäleon weder angenehm noch unangenehm.
Jetzt verändert sich die Art
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