Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
nehme ich Scotch.«
»Möchtest du ihn on the rocks?«
»Nein. Nur mit Eis, bitte.«
Wenige Momente später, als Erika Jocko seinen Drink reichte, läutete ihr Handy. »Nur Victor hat diese Nummer.«
Sie glaubte eine Spur von Erbitterung aus Jockos Stimme herauszuhören, als er murmelte: »Er, der ihn gemacht hat, der ich war«, aber sie hätte es sich auch einbilden können.
Sie fischte das Telefon aus einer ihrer Hosentaschen. »Hallo?«
»Wir werden New Orleans eine Zeit lang verlassen«, sagte Victor. »Wir brechen sofort auf.«
Da ihr Ehemann Fragen manchmal unverschämt fand, erkundigte sich Erika nicht nach dem Grund für die Abreise, sondern sagte schlicht und einfach: »In Ordnung.«
»Ich bin bereits auf dem Weg zur Zuchtfarm. Du wirst in dem größeren Mercedes-Geländewagen hinfahren, dem GL 550.«
»Ja, Victor. Morgen?«
»Stell dich nicht so dumm an. Ich sagte ›sofort‹. Noch in dieser Nacht. Binnen einer Stunde. Pack Kleidung für zwei Wochen für dich ein. Lass dir vom Personal helfen. Du musst schleunigst aufbrechen.«
»Und soll ich dir auch etwas zum Anziehen mitbringen?«
»Ich habe eine komplette Garderobe auf der Farm. Halt den Mund, und hör mir zu.«
Victor sagte ihr, wo sie den begehbaren Tresorraum der Villa finden würde, und erklärte ihr, was sie ihm daraus mitbringen sollte.
Dann sagte er: »Sieh nach Nordwesten, wenn du aus dem Haus gehst, der Himmel steht in Flammen«, und damit beendete er das Gespräch.
Erika steckte ihr Telefon ein und blieb einen Moment lang versonnen stehen.
Jocko fragte von dem Lehnstuhl aus: »Ist er gemein zu dir?«
»Er … ist, wer er ist«, erwiderte sie. »Warte hier. Ich bin gleich wieder da.«
Von der Bibliothek führte eine gläserne Flügeltür auf eine überdachte Veranda. Als Erika hinaustrat, hörte sie in der Ferne Sirenen.
Im Nordwesten drang ein seltsames Leuchten durch die tief hängenden Gewitterwolken: pulsierende Gestalten aus Licht, die wüst um sich schlugen, so strahlend und so blendend weiß, wie Geister es sein könnten, wenn man jemand war, der an Geister glaubte.
Das Leuchten am Himmel war der Widerschein eines unvorstellbar heißen und hungrigen Loderns am Boden. Der Ort, an dem sie ersonnen und dem Tank entstiegen war, die Hände der Barmherzigkeit , musste in Flammen stehen.
Der Regen, der durch die Bäume fuhr und sich auf dem klatschnassen Rasen verausgabte, gab manchmal ein Knistern
von sich, ähnlich wie Feuer, doch hier roch die Nacht nicht nach Rauch. Die reingewaschene Luft roch sauber und frisch. Der Duft von Jasmin wehte zu ihr herüber, und in dem Moment fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem kurzen, aber sehr ereignisreichen Leben vollständig lebendig .
Sie kehrte in die Bibliothek zurück und setzte sich auf den Hocker vor Jockos Lehnstuhl. »Kleiner Freund, du bist dem Geheimgang zu dem verborgenen Raum gefolgt und hast all diese Riegel an den beiden Stahltüren gesehen.«
»Jocko geht nicht nochmal dorthin. Jocko hat schon genug gruselige Orte gesehen. Von jetzt an will er nur noch hübsche Orte sehen.«
»Du hast den verborgenen Raum und den gläsernen Kasten gesehen. Und den verschwommenen Umriss, der darin lebt.«
Jocko erschauerte und trank einen Schluck von seinem Scotch.
»Du hast ihn aus dem Kasten sprechen hören.«
Der Troll versuchte erfolglos, seine Stimme tiefer und rauer und drohend klingen zu lassen, als er zitierte: »›Du bist Erika fünf, und du gehörst mir.‹«
Mit seiner natürlichen Stimme sagte er: »In diesem Glaskasten ist etwas, was mindestens vierzehnhundertmal zu gespenstisch für Jocko ist. Wenn Jocko Genitalien hätte, wären sie eingeschrumpelt und abgefallen. Aber Jocko konnte nur ohnmächtig werden.«
»Denk daran, ich habe dich dort hingeführt, damit ich dich nach deiner Meinung fragen kann. Bevor ich frage, muss ich betonen, dass ich wissen will, was du wirklich fühlst. Wirklich und wahrhaftig.«
Der Troll war eindeutig verlegen, aber er sah Erika trotzdem fest in die Augen, als er sagte: »Wirklich und wahrhaftig. Nichts mehr von wegen: ›Jocko muss pinkeln, Jocko
wird sich übergeben.‹ Das ist mein altes Ich. Von diesem Jocko können wir uns verabschieden.«
»Also gut. Ich habe zwei Fragen und möchte deine ehrliche Meinung hören. Wir wissen nicht, was dieser Umriss ist. Aber auf der Grundlage dessen, was du gehört und gesehen hast – ist das Ding in dem Kasten einfach nur ein Ding wie viele andere … oder ist es
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