Frankenstein oder Der moderne Prometheus
deckt, und war ihm wie
eine fürsorgliche Mutter. Ich für meinen Teil stehe nicht an zu
sagen, daß ich, wie sehr auch die Umstände gegen sie zeugen mögen,
doch meine Hand für ihre Unschuld ins Feuer legen würde. Es lag ja
für sie gar keine Ursache vor, so zu handeln, denn sie wußte, daß
ich sie so lieb hatte, daß ich ihr das Bild auf eine Bitte hin ohne
weiteres geschenkt hätte.«
Ein Murmeln des Beifalls ertönte durch den Raum; aber er galt
der edelmütigen, einfachen und doch packenden Verteidigungsrede,
nicht aber dem armen Opfer. Justine weinte, während Elisabeth
sprach, aber sie antwortete nicht mehr. Meine Erregung und Angst
hatten sich während des Verhörs bis aufs äußerste gesteigert. Ich
glaubte an ihre Unschuld, ich wußte, daß sie rein war. Konnte der
Dämon, der meinen Bruder ermordet hatte daran zweifelte ich ja
keinen Augenblick mehr – in teuflischer Bosheit dem unglücklichen
Mädchen einen schmachvollen Tod zugedacht haben? Ich befand mich in
einer entsetzlichen, geradezu unerträglichen Lage, und als ich an
den ernsten Gesichtern der Richter erkannte, daß sie, der Stimme
des Volkes entsprechend, die Unselige verurteilen mußten, stürzte
ich von Höllenqualen gepeinigt aus dem Saal. Die Leiden der
Angeklagten kamen sicherlich den meinen nicht gleich; sie hatte das
Gefühl der Unschuld in der Brust, während
hinter mir wie Eumeniden die Gewissensbisse ihre Geißeln
schwangen.
Wie ich die Nacht verbrachte, kann ich nicht schildern. Am
frühen Morgen begab ich mich ins Gerichtsgebäude; aber meine Kehle
war wie zugeschnürt, so daß ich die schicksalsschwere Frage nicht
zu stellen vermochte. Man erkannte mich und ein Beamter erriet die
Ursache meines Besuches. Er sagte mir, daß nur schwarze Kugeln in
die Urne gelegt worden seien, Justine also verurteilt sei.
Wie soll ich die Gefühle nennen, die sich meiner bemächtigten?
Ich hatte ja das Entsetzen schon kennen gelernt, aber das war gar
nichts gegen das, was ich nun zu erdulden hatte. Der Beamte fügte
noch bei, daß Justine selbst ihre Schuld eingestanden habe. »In
diesem so klaren Falle wäre das ja gar nicht nötig gewesen,«
bemerkte er, »aber trotzdem ist es besser so, denn unsere Richter
verurteilen nicht gern auf Grund von Indizienbeweisen, mögen sie
noch so schlüssig sein.«
Das war allerdings etwas Seltsames und Unerwartetes. Was konnte
er meinen? Sollten mich wirklich meine Augen so getäuscht haben
oder war ich tatsächlich ein Narr gewesen, wenn ich gegen einen
andern Argwohn geschöpft hatte? Ich eilte nach Hause und Elisabeth
erkundigte sich ungeduldig nach dem Ergebnis meiner Anfrage.
»Meine Liebe,« sagte ich, »es ist so gekommen, wie du dir denken
konntest. Unsere Richter lassen lieber zehn Unschuldige leiden, als
daß sie einen Schuldigen entschlüpfen lassen; und sie ist schuldig
– sie hat es selbst eingestanden.«
Das war ein harter Schlag für Elisabeth, die immer noch fest auf
Justines Unschuld gebaut hatte. »Wie soll ich,« sagte sie, »jemals
noch einem Menschen vertrauen? Justine, die ich liebte wie eine
Schwester, hat uns mit ihrem engelreinen Lächeln betrogen! Sie,
deren Augen keine Strenge oder Grausamkeit kannten, vermochte einen
Mord zu begehen!«
Bald danach erhielten wir Nachricht, daß das arme Opfer den
Wunsch geäußert habe, Elisabeth zu sprechen. Mein Vater
wollte es erst nicht zugeben, überließ es
aber dann doch ihrem eigenen Ermessen. »Ja,« sagte Elisabeth, »ich
will gehen, wenn sie auch schuldig ist; und dich, Viktor, bitte
ich, mich zu begleiten, allein kann ich nicht.« Es war mir eine
erneute Qual, aber ich konnte mich nicht weigern.
Wir betraten die düstere Zelle und erkannten Justine, die in der
anderen Ecke auf einem Strohhaufen saß. Sie hielt die Hände
gefaltet und ihr Kopf lag auf ihren Knieen. Als wir eintraten,
erhob sie sich und warf sich, nachdem der Wärter uns mit ihr allein
gelassen, vor Elisabeth nieder, indem sie bitterlich weinte. Auch
Elisabeth weinte laut.
»Ach, Justine,« sagte sie, »warum hast du mich meiner letzten
Hoffnung beraubt? Ich habe auf deine Unschuld gebaut. Wenn ich auch
vorher schon unglücklich war, so hat mich doch dein Geständnis noch
unglücklicher gemacht.«
»Und glaubst also auch du, dass ich so sehr verworfen bin?
Bereinigst auch du dich mit meinen Peinigern, die mich als Mörderin
verurteilen?« Ihre Stimme erstickte in Tränen.
»Steh auf, du Arme,« erwiderte Elisabeth, »warum kniest du, wenn
du dich unschuldig
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