Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Güte. Möge dies das letzte Leid sein, das dir
beschieden ist. Leb wohl, sei glücklich und mache auch andere
glücklich!«
Am nächsten Morgen mußte dann Justine sterben. Elisabeths
herzbewegendes Flehen vermochte die harten Richter nicht in ihrer
Überzeugung von Justines Schuld zu erschüttern. Auch meine
leidenschaftlichen, erregten Bitten hatten nicht die geringste
Wirkung. Und die kalten Antworten, das herzlose Sprechen dieser
Männer brachte das Geständnis, das ich auf den Lippen trug, wieder
zum Schweigen. Sie hätten mich wohl für irrsinnig erklärt, aber an
dem Urteil über das arme Opfer hätte das nichts geändert. Und so kam es, daß Justine als Mörderin auf
dem Schaffot ihr junges Leben lassen mußte.
Nicht nur die Qualen in meiner eigenen Brust, sondern auch das
tiefe, wortlose Weh in Elisabeths Herz brachten mich fast zur
Verzweiflung. Das also war mein Werk! Und das Leid meines Vaters,
die Verwüstung unseres sonst so traulichen Heims – das alles hatten
meine tausendfach verfluchten Hände angerichtet! Weint nur, ihr
Unseligen, das sind noch lange nicht eure letzten Tränen gewesen!
Wiederum ist es euch bestimmt, die Totenklage anzustimmen und zu
weinen. Frankenstein, euer Sohn, euer Bräutigam, euer treuer,
geliebter Freund und Bruder, der für euch gern sein Herzblut
vergossen hätte, der keine Freude empfand, die sich nicht zugleich
in euren Augen wiedergespiegelt hätte, der euer Leben gern mit
Glück erfüllt – er muß euch Tränen, ungezählte, bittere Tränen
verursachen.
So sprach meine ahnende Seele, als ich, erdrückt von
Gewissensbissen, Entsetzen und Verzweiflung auf meine Lieben sah,
die sich in Gram an den Gräbern von Wilhelm und Justine, den
ersten, armen Opfern meiner verruchten Künste, verzehrten.
Kapitel 9
Nichts ist furchtbarer für die Seele, als wenn nach einer Reihe
aufregender Ereignisse die Totenstille der Untätigkeit eintritt und
sie der Fähigkeit zu hoffen oder zu fürchten beraubt. Justine war
tot und hatte ihre Ruhe, aber ich lebte. Das Blut floß frei in
meinen Adern, aber auf mir lag ein schweres Gewicht von Leid und
Reue, dessen ich nicht ledig werden konnte. Es floh mich der Schlaf
und ich wanderte umher wie ein böser Dämon, denn ich hatte
Verbrechen begangen, die über die Maßen gräßlich waren, und mehr,
viel mehr noch lag vor uns, das wußte ich gewiß. Und doch war ich
nicht schlecht. Ich hatte mein Leben mit den besten Absichten
begonnen und hatte gehofft, all meine edlen Pläne in Wirklichkeit
umzusetzen und meinen Mitmenschen nützlich zu sein. Aber das war alles dahin. Anstatt jener Ruhe des
Gewissens, die uns mit Genugtuung zurückblicken läßt auf unser
bisheriges Leben und uns Kraft gibt zu neuem Schaffen, wohnte in
mir das Gefühl der Schuld und verursachte mir Qualen, die ein
Menschenmund nicht zu beschreiben vermag.
Dieser Gemütszustand wirkte natürlich auf meine Gesundheit sehr
nachteilig ein, die vielleicht sich noch gar nicht ganz von dem
ersten heftigen Stoß erholt hatte, den sie erlitten. Ich scheute
das Antlitz der Menschen und jeder Laut der Lust und Freude tat mir
weh. Einsamkeit – tiefe, dunkle, totengleiche Einsamkeit war mein
einziger Trost, mein einziger Wunsch.
Mein Vater bemerkte mit Sorge den Wechsel in meinem Befinden und
meinen Gewohnheiten und bemühte sich, mit Argumenten, die er aus
seinem makellosen Leben und seinem reinen Gewissen schöpfte, mir
Mut einzuflößen und die düsteren Wolken zu zerstreuen, die über
meiner Seele brüteten. »Glaubst du, Viktor,« sagte er, »daß ich
nicht ebenso leide wie du? Niemand konnte das Kind lieber haben als
ich,« (hier füllten sich seine Augen mit Tränen), »aber ist es
nicht eine Pflicht unserer Umgebung gegenüber, ihr Unglück nicht
noch durch den Anblick ungezügelten Schmerzes zu vergrößern? Aber
auch uns selbst sind wir es schuldig, denn wenn wir unseren Schmerz
nicht beherrschen, sind wir unfähig, uns zu betätigen und uns
wieder zu freuen; Dinge, ohne die wir nicht ins Leben passen.«
Dieser Rat war zwar gut, hatte aber gar keine Wirkung auf mich.
Wie gern hätte ich selbst mein Leid verborgen und meine Lieben
getröstet, wenn nicht das schlechte Gewissen all meine anderen
Gefühle unterdrückt hätte. Die einzige Antwort, die ich jetzt
meinem Vater zu geben vermochte, war ein verzweiflungsvoller Blick
und das Bestreben ihm auszuweichen, wo ich konnte.
Zu jener Zeit zogen wir uns in unsere Wohnung in Belrive zurück.
Dieser Wechsel war
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