Frankenstein oder Der moderne Prometheus
es
besonders gefährlich, indem das leiseste Geräusch, sogar das
Sprechen, imstande ist, eine Lawine zu erzeugen und Gefahr auf das
Haupt des Unvorsichtigen herabzuziehen. Die dort wachsenden wenigen
Bäume sind nicht groß und geben mit ihrer dunklen Färbung der
Gegend das Gepräge des Ernstes. Ich sah hinunter gegen das Tal.
Weiße Nebel stiegen von den Flüssen, die dort unten dahineilten,
und krochen in dicken Schwaden an den Hängen der Berge herauf,
deren Häupter von den Wolken in einförmiges Grau gehüllt wurden.
Vom düsteren Himmel rann der Regen und erhöhte die Melancholie
meiner Umgebung. Warum rühmen wir Menschen uns der größeren
Feinfühligkeit gegenüber dem Tiere? Wenn unsere Sinne sich
lediglich auf Hunger, Durst und Liebe erstreckten, wären wir nahezu
frei; aber so, wie wir jetzt sind, bewegt uns jeder Hauch der Luft
und wir hängen ab von einem zufälligen Wort oder Anblick.
Es war fast Mittag, als ich die Höhe erreichte. Eine Zeitlang
saß ich auf einem Felsstück und sah hinunter auf das Eismeer, auf
dem Nebel brüteten wie auf den umgebenden Bergen. Zuweilen
zerstreute ein Windstoß die Wolken, so daß die Aussicht
frei wurde. Die Oberfläche des Gletschers
war sehr uneben, es war, als sei ein Meer in seiner Erregung
erstarrt und von tiefen Spalten zerrissen. Das Eisfeld war nur etwa
eine Meile breit, aber ich brauchte beinahe zwei Stunden, um es zu
überqueren. Drüben ragte die Felswand senkrecht gegen den Himmel.
An der Stelle, wo ich nun stand, hatte ich den Montanvert gerade
gegenüber, über dem sich der Montblanc in grausiger Majestät erhob.
Ich drückte mich in einen Felsspalt und konnte mich an der
herrlichen Szenerie kaum sattsehen. Die eisigen, glitzernden
Bergspitzen leuchteten über den Wolken in goldigem Sonnenschein.
Mein Herz, das vorher noch so gedrückt war, empfand etwas wie
Freude und ich rief: »Wandernde Geister, laßt mir dieses Glück,
oder wenn das nicht möglich ist, nehmt mich zu euch fort von den
Gefilden dieser Erde!«
Während ich mich diesen Gedanken hingab, bemerkte ich in einiger
Entfernung die Gestalt eines Menschen, der mit übernatürlicher Eile
auf mich zukam. Er sprang über die Eisschrunden, die ich nur mit
äußerster Vorsicht überklettert hatte; er schien, je näher er mir
kam, immer mehr von außergewöhnlicher Größe. Ich zitterte – ein
Schleier legte sich über meine Augen und ich meinte umsinken zu
müssen. Aber rasch erholte ich mich wieder unter dem eisigen Wind,
der mir da oben um die Schläfen fegte. Ich erkannte, als er näher
kam, daß es mein gehaßter Feind war, den ich mir geschaffen. Zorn
und Abscheu hatten sich meiner bemächtigt und ich konnte kaum mehr
den Augenblick erwarten, daß er mir nahe genug war, um mich mit ihm
im Kampfe auf Leben und Tod zu messen. Nun stand er vor mir. In
seinem Antlitz lag tiefes Leid, gemischt mit Verachtung und
Bosheit, und seine unbeschreibliche Häßlichkeit bot einen Anblick,
der für ein Menschenauge kaum zu ertragen war. Aber ich bemerkte
das zuerst nicht. Wut und Haß ließen mich gar nicht zum Handeln
kommen und machten sich dann Luft in Worten der tiefsten Verachtung
und des äußersten Abscheues.
»Teufel, verfluchter,« rief ich aus, »wagst du es, mir vor die
Augen zu treten? Und fürchtest du nicht, daß dich meinrächender Arm zerschmettert? Fort von mir, du
häßliches Insekt! Oder besser bleib, daß ich dich zu Staub
zermalmen kann! Und könnte ich doch, indem ich das Licht deines
verhaßten Lebens ausblase, die Opfer wieder lebendig machen, die du
in teuflischer Bosheit vernichtet hast!«
»Ich wußte, daß du so zu mir sprechen würdest,« sagte der Dämon.
»Alle Menschen verfolgen mich mit ihrem Haß. Und warum muß ich
gerade so gehaßt werden, der ich doch selbst so über alle Maßen
elend bin? Und auch du, mein Schöpfer, du fluchst und zürnst mir,
deinem Geschöpf, mit dem dich doch Bande verknüpfen, die nur durch
die Vernichtung eines von uns beiden gelöst werden können. Du
willst mich töten? Wie kannst du so verschwenderisch mit dem Leben
umgehen? Tu deine Pflichten gegen mich und ich werde auch die
meinen gegen dich und alle übrigen Menschen erfüllen. Wenn du dich
entschließen kannst, auf meine Bedingungen einzugehen, will ich
dich und die Deinen in Ruhe lassen. Aber wenn du nein sagst, dann
will ich Freund Hein seinen Bauch mit dem Blute der Deinigen
füllen.«
»Ekelhaftes Scheusal! Die furchtbarsten Qualen der Hölle sind
noch viel zu gelind für dich.
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