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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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höre meine
Worte. Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist lang und
seltsam, und auf diesem Platze herrscht eine Temperatur, die deinem
feinen, zierlichen Leib nicht zusagen dürfte. Komm mit mir in meine
Hütte auf dem Berge. Die Sonne steht jetzt noch hoch. Ehe sie
hinter jenen schneeigen Höhen hinuntergestiegen ist und anderen
Ländern leuchtet, hast du meine Geschichte gehört und kannst dich
entscheiden. An dir liegt es, ob ich dann die Nähe der Menschen
fliehe und irgendwo versteckt ein harmloses Dasein führe oder dir
und vielen anderen zum Würger werde.«
    Unterdessen hatte er den Weg über das Eis eingeschlagen und ich
folgte ihm. Mein Herz war zu voll und ich fand keine
Worte, um ihm irgend etwas zu erwidern.
Aber während ich ging, erwog ich die verschiedenen Umstände, deren
er Erwähnung getan, und beschloß, zum mindesten seine Geschichte
anzuhören. Hauptsächlich war es Neugierde, die mir diesen Entschluß
eingab, aber auch ein schwaches Gefühl des Mitleids mengte sich
hinein. Ich hatte ihn bisher für den Mörder meines Bruders gehalten
und war begierig, aus seinen Worten eine Bestätigung oder
Widerlegung dieser Ansicht zu vernehmen. Ich empfand auch das erste
Mal, daß ein Schöpfer seinem Werke gegenüber Verpflichtungen habe
und daß ich versuchen müsse, dem Armen etwas Glück zu bescheren.
All diese Erwägungen machten mich seinen Bitten geneigter. Wir
passierten das Eis und stiegen die Felswand hinan. Es war eiskalt
und der Regen begann wieder herab zu rieseln. Wir betraten die
Hütte. Mein Feind mit einer Geberde des Triumphes, ich aber mit
schwerem Herzen und in tiefster Niedergeschlagenheit. Aber ich
hatte versprochen ihn anzuhören und setzte mich deshalb zum Feuer,
das mein unangenehmer Gesellschafter angezündet hatte. Dann begann
er seine Erzählung.

Kapitel 11
     
    »Mit Mühe nur erinnere ich mich der ersten Zeit, nachdem ich
entstanden war. Alles, was sich in jener Zeit ereignete, ist mir
unklar und verschleiert. Eine Menge unbestimmter Gefühle
bemächtigte sich meiner, meine sämtlichen Sinne traten zugleich in
Aktion und es bedurfte längerer Erfahrung, bis ich sie auseinander
zu halten vermochte. Ich erinnere mich, daß helles Licht auf mich
eindrang, so daß ich die Augen schließen mußte. Dann wurde es
dunkel um mich und ich fürchtete mich. Als ich dann die Augen
wieder öffnete, war es so hell wie zuvor. Ich setzte mich in
Bewegung und stieg auf die Straße hinab. Da war es nun wieder ganz
anders. Vorher hatten mich undurchsichtige Grenzen umgeben, die ich
weder körperlich noch auch mit den Augen durchdringen konnte;
draußen aber bemerkte ich, daß ich mich ungehindert zu bewegen vermochte. Das Licht tat mir
allmählich weh und zugleich belästigte mich die große Hitze. Ich
suchte deshalb einen Platz aus, wo ich mich im Schatten ausruhen
konnte. Es war dies ein Wald in der Nähe von Ingolstadt, und hier
ließ ich mich am Ufer eines Baches nieder und ruhte, bis mich
Hunger und Durst auftrieben. Ich verzehrte Beeren, die ich an
Sträuchern oder am Boden fand. Dann stillte ich meinen Durst mit
dem Wasser des Baches und legte mich wieder schlafen.
    Es war finster, als ich erwachte. Ich fror und hatte ein
drückendes Gefühl des Alleinseins. Ehe ich dein Haus verließ, hatte
ich mich, da mir kalt war, mit einigen Kleidern behängt, aber sie
waren völlig ungenügend, um mich vor dem Tau der Nacht zu schützen.
Ich war ein armes, elendes, bedauernswertes Geschöpf. Ich wußte
nichts, ich verstand nicht, mich all des Unangenehmen zu erwehren,
das von allen Seiten auf mich eindrang. So setzte ich mich nieder
und weinte.
    Unterdessen kam am Himmel ein mildes Licht heraufgestiegen und
ich empfand Freude darüber. Ich sprang auf und erblickte eine
glänzende Scheibe, die über den Bäumen stand. Wie ein Wunder
starrte ich sie an. Ich bewegte mich langsam und vorsichtig, aber
dann bemerkte ich, daß sie mir auf meinem Wege leuchtete. Ich begab
mich wieder auf die Suche nach Beeren. Es war noch kalt und unter
einem Baume fand ich etwas Schutz. Bestimmte Gefühle hatte ich
nicht, alles war noch ganz konfus. Ich fühlte Licht und Dunkelheit,
ich empfand Hunger und Durst; unendliche Geräusche füllten mir die
Ohren und allerlei Gerüche drangen mir in die Nase. Das Einzige,
was ich genau unterscheiden konnte, war der Mond, den ich mit einem
gewissen Vergnügen betrachtete.
    Mehrere Tage und Nächte waren vergangen und der Mond hatte schon
bedeutend abgenommen, als ich

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