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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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Aber sie war unschuldig!
Ich weiß, ich fühle es, sie war unschuldig. Du bist derselben
Überzeugung, und das bestärkt mich in meinem Glauben an die Tote.
Viktor, wenn Schlechtigkeit so sehr die Maske der Güte tragen
könnte, wer möchte je noch eines Glückes froh werden? Mir ist, als
stände ich am Rande eines Abgrundes und als drängten Tausende auf
mich ein, um mich hinabzustoßen. Wilhelm und Justine sind
hingemordet worden, und der Mörder ist frei, vielleicht geachtet
unter den Menschen. Aber selbst wenn ich um der gleichen Verbrechen
willen das Schafott besteigen müßte, ich möchte nicht an seiner
Stelle sein.«
    Ich lauschte ihren Worten und eiskalt lief es mir über den
Rücken. War doch ich der Mörder, wenn ich auch nicht mit eigenen
Händen meine Opfer gewürgt hatte. Elisabeth mußte die Qualen, die
ich litt, aus meinen Zügen erkennen, denn sie ergriff meine Hand
und sagte zärtlich: »Liebster, du mußt dich aber beruhigen. Die
Ereignisse haben auch mich, weiß Gott, aufs Tiefste erschüttert;
aber ich bin doch nicht so elend daran, wie du. In deinem Gesicht
lese ich Verzweiflung und Rachedurst, die mich erzittern machen.
Liebster, banne diese finsteren Gefühle. Denke daran, daß wir alle
unsere Hoffnung auf dich setzen. Sind wir denn nicht imstande, dich
wieder glücklich zu machen? Wenn wir uns lieb haben, wenn wir treu
zu einander halten, hier in dem Lande der Schönheit und des
Friedens, in deinem Heimatlande, sollten wir da nicht wieder
zufrieden werden können, sollte da nicht auch dir neues Leben
erblühen?«
    Und trotzdem sie die Worte sprach, sie, die ich über alles
liebte, konnte ich doch des Feindes nicht Herr werden, der sich in
meiner Brust eingenistet hatte. Ich zog sie an mich, als müßte ich
fürchten, daß jetzt, gerade in diesem Augenblick, der Zerstörer
kommen und sie von mir reißen könnte.
    Nicht die zarteste Freundschaft, nicht die Schönheit meiner
Umgebung vermochten mich von dem drückenden Alp zu befreien, und
selbst für das Flehen der Liebe hatte ich kein Verständnis. Ich
glich dem verwundeten Wild, das seine blutenden Glieder mühsam in das tiefste Dickicht schleppt und,
auf den Pfeil in der Todeswunde starrend, sein Leben aushaucht.
    Manchmal gelang es mir, auf Augenblicke der düsteren Wolken Herr
zu werden, die auf meiner Seele lagerten, indem ich durch
weitausgedehnte Spaziergänge meinen Körper ermüdete. Einmal verließ
ich plötzlich unser Heim und suchte in der ewigen Schönheit der
Berge mein vergängliches Menschenleid zu vergessen. Meine Wanderung
ging in das Tal von Chamounix, das ich als Knabe öfters besucht
hatte. Sechs Jahre waren seitdem verflossen. Ich war vernichtet,
aber nichts hatte sich an den überwältigenden, unvergänglichen
Schönheiten dieses Erdenstriches geändert.
    Den ersten Teil der Reise machte ich zu Pferde. Später mietete
ich mir ein Maultier, das sicherer auf den Füßen war und auch
weniger unter den schlechten Wegverhältnissen litt. Das Wetter war
wunderschön. Es war Mitte August, beinahe zwei Monate, seit Justine
von uns gegangen, seit mein furchtbarer Zustand seinen Anfang
genommen. Je tiefer ich in das Tal der Arve vordrang desto leichter
wurde mir ums Herz. Die mächtigen Berge und steilen Abstürze zu
beiden Seiten meines Pfades, das Rauschen des Flusses, der sich
zwischen den Felsen seinen Weg suchte, und das Dröhnen der
Wasserfälle, das alles sprach zu mir wie ein Flüstern der Allmacht.
Und ich hörte auf zu fürchten, mich vor Mächten zu beugen, die
schwächer waren als sie, die die Elemente schuf und ihnen gebietet.
Je höher ich kam, desto wilder und herrlicher wurde das Tal.
Burgruinen hingen kühn an den bewaldeten Bergwänden; die tosende
Arve und die Hütten, die da und dort aus den Bäumen hervorlugten,
boten ein unvergleichlich schönes Bild. Und darüber ragten die
weißen, schimmernden Kuppeln und Pyramiden der Alpen in
überirdischer Pracht, wie Wohnungen von Wesen, die so ganz anders
sind als wir.
    Ich passierte die Brücke von Pelissier, von wo sich der Blick
auf die Schlucht der Arve öffnet, und erklomm dann den Berg, der
mich noch vom Tal von Chamounix trennte. Dieses Tal ist mächtiger und erhabener als das von Servox, das ich
eben erst verlassen, aber nicht so wild und malerisch. Es wird von
hohen Schneebergen eingeschlossen, aber es fehlen ihm die
Schloßruinen und die fruchtbaren Erdstreifen. Ungeheure Gletscher
drängen sich bis dicht an die Talstraße. Ich hörte das Brüllen

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