Frankenstein oder Der moderne Prometheus
erkennen
konnte. Das war allerdings eine herrliche Gabe und ich brannte
förmlich danach, diese Methode genauer zu erforschen. Aber jeder
Versuch, den ich unternahm, scheiterte kläglich. Ihre Aussprache
war rasch, und da ich keinen Zusammenhang zwischen ihren Worten und
den bestehenden Dingen sah, hatte ich gar keinen Anhaltspunkt. Nur
meinem großen Eifer hatte ich es zu danken, daß es mir nach Verlauf
mehrerer Monate gelang, die gebräuchlichsten Bezeichnungen zu
erlernen. Ich wußte die Worte: Feuer, Milch, Brot und Holz zu
deuten und auszusprechen. Dann merkte ich mir die Namen der
Hausbewohner selbst. Hierbei fiel mir auf, daß die beiden jungen
Leute mehrere Namen, der Alte aber nur einen, nämlich »Vater«
hatte. Das Mädchen hieß »Schwester« oder »Agathe«, der Jüngling
»Felix«, »Bruder« oder »Sohn«. Ich kann dir das Vergnügen nicht
schildern, das ich empfand, als ich einigermaßen in die
Gedankenwelt der guten Leute eindringen konnte. Sie
gebrauchten noch mehr sehr häufig andere
Worte, deren Sinn ich aber zunächst nicht begriff, wie zum Beispiel
»gut«, »Liebster« oder »unglücklich«.
Unterdessen war der Winter vergangen und ich hatte diese
Menschen sehr lieb gewonnen, so daß ich mit ihnen litt, wenn sie
traurig waren, und mich freute, wenn sie sich freuten. Außer ihnen
sah ich nur wenige menschliche Wesen, und wenn es ja vorkam, daß
Fremde das Haus betraten, so fiel der Vergleich zwischen ihnen und
meinen Freunden immer zum Vorteil der letzteren aus. Der Alte
schien sich oftmals zu bemühen, seinen Hausgenossen Mut
zuzusprechen, und die Güte und Liebe, die in seinem ganzen Wesen
lagen, taten sogar mir wohl. Agathe lauschte meistens schweigend
seinen Worten; aber in ihre Augen traten Tränen, die sie verstohlen
wegwischte. Jedenfalls gewann ich den Eindruck, als sei sie wieder
fröhlicher und vertrauensvoller, wenn der Alte zu ihr gesprochen
hatte. Mit Felix war es anders. Er war immer der Traurigste in der
ganzen Familie, und selbst mit meinen ungeübten Sinnen erkannte
ich, daß er am schwersten gelitten haben mußte. Aber wenn er auch
trauriger aussah als die anderen, so war doch seine Stimme
fröhlicher als die seiner Schwester, besonders dann, wenn er mit
dem Vater sprach.
Ich könnte dir unzählige Beispiele aufführen, die unverkennbar
zeigten, wie sehr diese Leute aneinander hingen. Mochte auch Armut
und Mangel schwer auf ihnen lasten, der Bruder vergaß doch nicht,
die ersten weißen Blümchen, die aus dem Schnee lugten, seiner
Schwester zu bringen. Früh am Morgen, noch ehe die Sonne
aufgegangen war, kehrte er den Schnee von dem Wege, den sie zu
gehen hatte, um nach dem Stalle zu gelangen, holte Wasser aus dem
Brunnen und schleppte Brennholz ins Haus, immer sehr erstaunt, wenn
er bemerkte, daß der Vorrat von unbekannter Hand wieder ergänzt
worden war. Unter Tags arbeitete er vermutlich für einen Nachbar,
denn er ging früh fort und kehrte erst zu Tisch wieder heim,
brachte aber nie mehr Holz mit. Zuweilen schaffte er im Garten; da
es aber zu dieser Zeit wenig dort zu tun gab, las er dem Alten und
Agathe vor.
Dieses Lesen hatte mich anfangs sehr
merkwürdig berührt; allmählich kam ich dann darauf, daß er auch
beim Lesen viele der Worte gebrauchte, die er im täglichen Gespräch
anwendete. Ich schloß daraus, daß er auf dem Papier Zeichen finden
mußte, die er verstand, und brannte danach, diese gleichfalls
kennen zu lernen. Aber das war ja nicht denkbar, denn ich kannte ja
nicht einmal die Laute, die sie bezeichneten. Ich bemühte mich
daher, zunächst ihre Sprache vollkommen zu verstehen; denn ich war
mir darüber klar, daß ich eine Annäherung an die guten Leute nur
dann wagen konnte, wenn ich ihre Sprache beherrschte, und daß ich
sie nur dadurch einigermaßen mit meiner Ungestalt versöhnen könnte.
Denn auch diese hatte ich durch das immerwährende Zusammensein mit
den Leuten erkennen gelernt.
Und das kam so: Ich hatte mich stets an den schönen Formen
meiner Freunde, an ihren geschmeidigen Bewegungen erfreut. Du
kannst dir denken, welchen Schrecken ich empfand, als ich mich zum
Vergleiche in dem klaren Spiegel des Teiches betrachtete. Zuerst
prallte ich entsetzt zurück, da ich nicht glauben konnte, daß es
mein Bild sei, das mir da entgegensah. Als ich aber einsah, daß ein
Irrtum unmöglich und ich wirklich das Scheusal war, ergriffen mich
Verzweiflung und Scham. Und damals hatte ich noch nicht einmal
einen Begriff davon, was ich noch alles unter dieser
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