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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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dem
mondbeschienenen Waldboden leuchteten ihre bleichen Sterne. Die
Sonne war kräftiger geworden, die Nächte klar und mild. Meine
Ausflüge bildeten ein großes Vergnügen für mich, wenn sie auch
infolge des frühen Sonnenaufgangs und des späten Sonnenunterganges
bedeutend kürzer werden mußten. Denn so lange es Tag war, wagte ich
es nicht, meine Hütte zu verlassen, da ich fürchten mußte, dieselbe
Behandlung zu erfahren, wie schon einmal, und die ich nie
vergaß.
    Meine Tage waren dem aufmerksamsten Studium gewidmet, denn es
kam mir darauf an, möglichst bald der Kunst der Sprache teilhaftig
zu werden. Ich darf mich rühmen, daß meine Fortschritte größer
waren als die der Fremden, die noch sehr wenig verstand und nur
sehr gebrochen sprach, während ich fast jedes Wort, das ich hörte,
begriff und zu wiederholen wußte.
    Aber nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift erlernte
ich auf dieselbe Weise wie die Fremde. Damit eröffneten sich mir
herrliche Gebiete, die mich in Erstaunen und Bewunderung
versetzten.
    Das Buch, aus dem Felix Safie unterrichtete, war Volneys
»Zertrümmerte Reiche«. Ich hätte ja den Inhalt des Buches nie
erfaßt, wenn nicht Felix immer ausführliche Erläuterungen dazu
gegeben hätte. Er hatte dieses Werk gewählt, weil der Stil des
Werkes außerordentlich anschaulich war.
    Der Inhalt jenes Buches regte mancherlei Gedanken in mir an.
Waren denn die Menschen wirklich zugleich so mächtig, tugendhaft
und groß und doch dabei so lasterhaft und schlecht? Der Mensch
erschien mir einmal als der Repräsentant des bösen Prinzips und
dann ein andermal wieder als der Inbegriff des Edlen und
Göttlichen. Ein großer, tugendhafter Mensch zu sein, das mußte doch
das Herrlichste bedeuten, was sich ein denkendes Wesen vorstellen
kann; und als tiefste Erniedrigung erschien es mir, lasterhaft und
schlecht zu sein, ein Leben zu führen, das nutzloser war als das des blinden Maulwurfs oder des
harmlosen Wurmes. Lange konnte ich es überhaupt nicht begreifen,
daß es Wesen gäbe, die imstande waren, ihresgleichen zu morden, und
warum es Gesetze und Regierungen gab. Aber als ich von Verbrechen
und Blutvergießen erzählen hörte, wunderte ich mich nimmer, sondern
wandte mich voll Ekel und Abscheu ab.
    Jedes Gespräch der Hausbewohner eröffnete mir neue Perspektiven.
Bei Gelegenheit der Belehrungen, die Felix der Fremden gab, erfuhr
ich auch von dem seltsamen System der menschlichen Gesellschaft.
Ich hörte von Teilung des Besitzes, von unermeßlichen Reichtümern
und entsetzlichster Armut, von Rang, Abkunft und edlem Blute.
    Dieses Kapitel veranlaßte mich, über mich selbst nachzudenken.
Ich sah, daß das, was meine Mitmenschen als das Höchste betrachten,
edle, fleckenlose Abkunft und Reichtum sind. In seltenen Fällen
mochte es ja vorkommen, daß einer, der nur einen dieser beiden
Vorzüge besaß, geachtet war; meistens aber betrachtete man einen
solchen Menschen als Lump oder Sklaven, der lediglich dazu da ist,
seine Kräfte im Dienste weniger Auserwählter zu verbrauchen. Und
was war ich? Ich wußte von meiner Entstehung, von meiner Abkunft
gar nichts; aber das wußte ich, daß ich kein Geld, keine Freunde
mein eigen nannte. Außerdem war ich noch besonders häßlich und
mißgestaltet und nicht einmal dasselbe Wesen wie ein Mensch. Ich
war beweglicher als ein solcher und kam mit weniger Nahrung aus;
ich ertrug mit größerer Gleichgültigkeit Kälte und Hitze und war an
Größe und Kraft weit überlegen. Aber wenn ich um mich sah, fand ich
niemand, der mir glich. Ich war also eine Abnormität, ein
Ungeheuer, ein Schandfleck der Schöpfung, den alle Menschen flohen
und von sich stießen.
    Ich würde vergebens versuchen, dir die Qualen zu schildern, die
diese Gedanken in mir wachriefen. Ich wollte ihrer Herr werden,
aber mein Leid wuchs nur, je mehr ich darüber nachsann. O, daß ich
doch immer in meinem Walde geblieben wäre und nicht gelernt hätte, etwas anderes zu fühlen als die
Regungen des Hungers und des Durstes!
    Welch seltsames Ding ist doch das Wissen! Es klammert sich an
unser Inneres, wie eine Flechte an den Stein. Ich hätte oft
gewünscht, all das Fühlen und Denken von mir abschütteln zu können.
Aber ich erfuhr auch, daß es gegen all diese Schmerzen nur ein
einziges Heilmittel gibt – den Tod, einen Begriff, den ich
fürchtete, den ich aber nicht zu fassen vermochte. Ich bewunderte
die Tugend und alle hohen, edlen Gefühle und liebte die schönen,
guten Menschen, dich

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