Frankenstein oder Der moderne Prometheus
ich bis jetzt, allerdings nur von Ferne,
kennen gelernt hatte. Aber vom Verkehr mit ihnen war ich
ausgeschlossen, wenn ich nicht das, was ich mir verstohlen ansah,
als solchen bezeichnen will und das meine Begierde, einer von ihnen
zu sein, nur noch mehr anstachelte. Die freundlichen Worte Agathes,
das liebliche Lächeln der Fremden waren nicht für mich berechnet,
und die milden Worte des Greises und die klugen Reden des jungen
Mannes richteten sich nicht an mich. Elender, armer Wicht der ich
war!
Andere Dinge, die ich hörte, wirkten noch niederdrückender auf
mich. Ich erfuhr vom Unterschied der Geschlechter, von der Geburt
und der Erziehung der Kinder; von dem glücklichen Lächeln des
Vaters, von der Liebe und Hingebung der Mutter; von Bruder,
Schwester und all den anderen Verwandtschaftsgraden, die die Bande
bezeichnen, die die Menschen unter einander bindet.
Aber wer sind meine Freunde und Verwandten? Kein Vater hat meine
Kinderjahre behütet, keine Mutter mir ihre Liebe und Zärtlichkeit
geschenkt; oder wenn es doch so war, dann war mein bisheriges Leben
ein Traum, von dem ich nichts mehr weiß. So weit meine Erinnerung
reichte, ich war immer derselbe, wie ich damals war, und hatte an
Größe und Gestalt mich nicht verändert. Ich kannte niemand, der mir
ähnlich war oder der sich die Mühe genommen hätte, sich mit mir zu
beschäftigen. Was war ich, woher kam ich? Das waren die Fragen, die
sich in mir erhoben und auf die ich keine Antwort fand als meine
Seufzer.
Wohin mich diese Gefühle brachten, will ich
nun erzählen. Aber zuerst möchte ich noch einmal von jenen Menschen
sprechen, deren Leben in mir zugleich Entrüstung, Entzücken und
Verwunderung wachrief und in denen ich in unschuldiger, wonniger
Selbsttäuschung meine Beschützer sah.
Kapitel 14
Es währte einige Zeit, ehe ich etwas aus dem Leben meiner
Freunde erfuhr. Die mannigfachen Umstände, die darin eine Rolle
spielten, verfehlten nicht, auf mich, der ich so gänzlich
unerfahren war, einen tiefen Eindruck zu machen.
Der alte Mann hieß de Lacey. Er stammte aus einer guten
französischen Familie und war bei seinen Standesgenossen geachtet
und beliebt. Sein Sohn stand im Kriegsdienste und seine Tochter
verkehrte mit den vornehmsten Damen. Noch wenige Monate vorher
hatten sie in einer großen, prächtigen Stadt, die Paris hieß,
gelebt, umgeben von guten Freunden, und erfreuten sich alles
dessen, was mäßiger Reichtum zu bieten vermag.
Der Vater Safies war der Urheber ihres Unglücks. Er war ein
türkischer Kaufmann und hatte lange Jahre in Paris gewohnt, als er,
ich weiß nicht aus welchem Grunde, der Regierung verdächtig wurde.
Er wurde gefangen genommen und in den Kerker geworfen, am gleichen
Tage als Safie aus Konstantinopel eintraf. Er wurde verhört und zum
Tode verurteilt. Die Ungerechtigkeit dieses Richterspruches lag
klar zu Tage und ganz Paris war darüber empört. Man vermutete wohl
mit Recht, daß seine Religion und sein Reichtum mehr zu seiner
Verurteilung beigetragen hatten, als das ihm zur Last gelegte
Verbrechen.
Felix war zufällig in der Gerichtsverhandlung gewesen und hatte
mit Entsetzen und Entrüstung den Richterspruch vernommen. In diesem
Augenblicke hatte er sich feierlich gelobt, den Verurteilten zu
befreien, und sich sofort an die Ausführung seines Vorhabens
gemacht. Nachdem er verschiedene Male vergebens versucht hatte, Zutritt zu dem Gefangenen zu
erhalten, entdeckte er zufällig die stark vergitterten Fenster der
Zelle, in der der unglückliche Mann, beladen mit schweren Ketten,
der Exekution entgegensah. Felix gelang es, nächtlicherweile an
dieses Fenster zu kommen und dem Gefangenen mitzuteilen, daß er
seine Befreiung zu erwarten habe. Der Türke war zugleich erstaunt
und erfreut und versprach Felix reiche Belohnung, die dieser aber
rauh zurückwies. Als er aber Safie kennen lernte, die ihren Vater
öfter besuchen durfte, wußte er, daß dieser einen Schatz besaß, den
er doch von ihm annehmen und der ihn für seine Mühen und Gefahren
belohnen würde.
Rasch hatte der Türke bemerkt, daß seine Tochter Eindruck auf
den jungen Mann gemacht hatte, und suchte diesen in seinem Vorhaben
zu bestärken, indem er ihm die Hand des Mädchens versprach. Sobald
er an einem sicheren Platze sei, sollte die Hochzeit stattfinden.
Felix war zu zartfühlend, von diesem Versprechen Notiz zu nehmen,
erwartete aber von dessen Erfüllung sein ganzes zukünftiges
Glück.
Während der folgenden Tage machten die
Weitere Kostenlose Bücher