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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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ich mir vor, ihren
Schutz und Beistand anzurufen. Mein Herz dürstete danach, sich
diesen liebenswürdigen Menschen offenbaren zu dürfen. Ihre Blicke
liebevoll und mit Interesse auf mir haften zu sehen, war das, was
ich am meisten ersehnte. Ich wagte es gar nicht daran zu denken,
daß sie mich mit Grauen und Ekel von sich weisen könnten. Von ihrer
Tür war sicher noch kein Hülfesuchender weggejagt worden. Mir war
es ja um mehr zu tun als um Speise oder ein vorübergehendes
Unterkommen, ich wollte ihre Liebe, ihr Mitleid; Dinge, deren ich
mich keineswegs für unwürdig hielt.
    Immer winterlicher ward es im Lande, und einmal schon hatte die
Natur ihren ewigen Kreislauf vollendet, seit ich zum Leben erweckt
worden war. Plan auf Plan entwarf ich in meinem Innern, wie ich es
anfangen sollte, mich meinen Beschützern zu nähern. Endlich
entschloß ich mich, das Haus dann zum ersten Male zu betreten, wenn
der Alte allein war. Ich war mir darüber vollkommen im klaren, daß
es meine außergewöhnliche Häßlichkeit gewesen war, was diejenigen
erschreckt hatte, die bisher mit mir in Berührung gekommen waren.
Meine Stimme war ja rauh, aber sie hatte nichts Abstoßendes. Ich
dachte mir, daß ich zuerst die Liebe des alten de Lacey gewinnen
müßte, um dann in ihm einen Fürsprecher bei seinen Kindern zu
haben.
    Eines Tages, die Sonne leuchtete goldig auf den farbigen
Blättern, die allenthalben den Boden bedeckten, und schien noch
einmal dem Auge den Sommer vortäuschen zu wollen, traten Safie,
Felix und Agathe einen längeren Spaziergang an, während der Greis
seinem Wunsche entsprechend zu Hause gelassen wurde. Als er allein
war, nahm er seine Zither und spielte einige ernste, ergreifende
Weisen, ernster und schöner, als ich sie je von ihm gehört. Zuerst
lag ein Schimmer heller Freude auf seinem Angesicht, dann aber nahm
es einen immer traurigeren, schmerzlicheren Ausdruck an. Er legte
sein Instrument zur Seite, stützte das Haupt auf die Hände und
schien in tiefes Nachsinnen versunken zu sein.
    Mein Herz klopfte stürmisch; der Augenblick
war gekommen, wo es sich entscheiden mußte, ob meine Hoffnungen
begründet waren oder meine Furcht. Die Dienstboten waren alle zu
einem Fest gegangen. Still war es im Hause und ringsum. Die
Gelegenheit war günstig. Aber als ich zur Ausführung meiner Absicht
schritt, versagten mir die Glieder den Dienst und ich sank zu
Boden. Dann richtete ich mich wieder auf, und all meine Kraft und
meinen Mut zusammennehmend entfernte ich die Bretter, die ich zu
meinem Schutze an den Eingang des Schuppens gelehnt hatte. Die
frische Luft tat mir wohl und mit froher Zuversicht näherte ich
mich dem Eingangstore.
    Ich klopfte. »Wer ist da?« ertönte die Stimme des alten Mannes
aus dem Inneren »Tretet ein!«
    Ich folgte der Aufforderung. »Entschuldigt, daß ich hier
eindringe,« sagte ich. »Ich bin ein Wanderer, der etwas Ruhe
bedarf. Ihr würdet mich zu großem Dank verpflichten, wenn Ihr mir
einige Minuten Rast an Eurem gastlichen Herde gönnen möchtet.«
    »Kommen Sie nur,« sagte de Lacey, »ich will Ihnen gern zu
Diensten sein. Aber leider sind meine Kinder nicht hier, und da ich
blind bin, wird es mir schwer fallen, einen Imbiß für Euch
herbeizuschaffen.«
    »Macht Euch deshalb keine Sorge, lieber Gastfreund, Hunger habe
ich nicht; nur Ruhe und Wärme suche ich bei Euch.«
    Ich ließ mich nieder und es entstand eine Pause. Ich wußte, daß
jeder Augenblick kostbar war, wußte aber nicht, wie ich die
Unterhaltung beginnen sollte. Da sagte der Alte:
    »An Eurer Sprache, Fremdling, meine ich zu erkennen, daß Ihr ein
Landsmann von mir seid. Seid Ihr Franzose?«
    »Nein, das nicht, aber ich wurde bei einer französischen Familie
erzogen und lernte nur ihre Sprache kennen. Ich habe nun die
Absicht, den Schutz einiger Freunde zu suchen, die ich herzlich
lieb habe und auf deren Gunst ich meine ganze Hoffnung setze.«
    »Sind es Deutsche?«
    »Nein, es sind Franzosen. Aber wollen wir von etwas
anderem sprechen. Ich bin ein armes,
verlassenes Geschöpf. Wenn ich mich auf Erden umsehe, habe ich
keinen Verwandten, keinen Freund. Die liebenswürdigen Leute, zu
denen ich will, haben mich noch nie gesehen und wissen nichts von
mir. Ich bin voll Angst, denn wenn ich bei ihnen meinen Zweck
verfehle, dann bin ich ausgestoßen aus der ganzen Welt.«
    »Nur nicht verzweifeln! Freundlos sein ist ja ein Unglück. Aber
die Herzen der Menschen sind, wenn nicht der Egoismus von ihm
Besitz ergriffen hat, gut

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