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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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Zufall entdeckte
ich meinen Feind, wie er sich gerade auf ein Schiff begab und sich
dort versteckte. Das Schiff sollte nach dem Schwarzen Meer in See
gehen. Trotzdem ich mit dem gleichen Schiffe fuhr, entkam er mir
doch auf rätselhafte Weise.
    Durch die Wildnisse der Tartarei und Rußlands führte seine Spur,
der ich unermüdlich folgte. Manchmal zeigten mir Landleute, noch
erschreckt von seiner Häßlichkeit, den Weg, der er gegangen.
Zuweilen aber hinterließ er selbst absichtlich ein Zeichen,
vielleicht weil er befürchtete, ich könnte die Jagd aufgeben und
mich zum Sterben niederlegen. Als dann dichter Schnee niederfiel
und die Erde verhüllte, konnte ich leicht die ungefügen Fußstapfen
des Fliehenden erkennen.
    Sie treten ja erst ins Leben ein, und Sorge und Leid ist Ihnen
fremd; daher werden Sie auch kaum verstehen, was ich fühlte und
heute noch fühle. Kälte, Entbehrungen und Erschöpfung waren meine
geringsten Leiden; ich war einem bösen Geiste verfallen und trug
eine Hölle in meiner Brust. Aber auch gute Engel schwebten um mich
und meine Wege. Und gerade, wenn ich am meisten murrte, halfen sie
mir über die scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten hinweg.
Oftmals, wenn ich von Hunger gepeinigt niedersinken wollte, ward
mir in der Wüste eine Mahlzeit bereitet, die mich stärkte und
erfrischte. Einfach war sie ja, so wie sie eben die Landleute
essen; aber ich hege keinen Zweifel, daß dabei die guten Geister
ihre Hand im Spiele hatten, deren Hilfe ich angerufen. Und wenn
alles trocken, der Himmel wolkenlos war,
dann erschien auf mein heißes Flehen eine kleine Wolke, erfrischte
mich mit ihrem Naß und zerfloß wieder.
    Wenn irgend möglich, hielt ich mich am Ufer von Flüssen; aber
gerade diese vermied der Dämon, weil sich hier die Bevölkerung
dichter angesiedelt hatte. Die Wege, die er suchte, führten fernab
von menschlichen Wohnstätten. Die Tiere des Waldes und des Feldes,
die meine Pfade kreuzten, mußten mir dazu dienen, mein Leben zu
fristen. Ich hatte Geld bei mir und gewann mir das Zutrauen der
wenigen Menschen, die mir begegneten, durch meine Freigebigkeit.
Oftmals auch verfuhr ich in der Weise, daß ich getötetes Wild,
nachdem ich meine kleine Portion davon genossen, denen überließ,
die mir Herd und Obdach gewährt hatten.
    Es war wirklich ein elendes Dasein, das ich da fristete, und nur
im Schlafe empfand ich zuweilen noch etwas wie Glück. Gesegneter
Schlaf! Wenn ich auch noch so elend war, brauchte ich mich nur zur
Ruhe zu legen, um in glücklicheren Sphären zu schweben. Die
Schatten meiner Lieben waren es sicherlich, die mir diese
glücklichen Augenblicke, oder besser gesagt Stunden, verschafften,
damit ich aus ihnen die Kraft schöpfte, die ich zur Durchführung
meiner Absicht bedurfte. Wäre mir dieser Trost versagt geblieben,
ich wäre sicher unter den unsäglichen Mühsalen zusammengebrochen.
Den ganzen Tag schon freute ich mich auf die Nacht, denn dann sah
ich wieder mein Weib und meine teure Heimat und das liebe Gesicht
meines Vaters. Ich hörte die silberne Stimme meiner Elisabeth und
sah meinen Freund Clerval in seiner ganzen Kraft bei mir. Oftmals
redete ich mir ein, daß die Mühsale, die ich unterwegs ertrug, nur
ein schwerer Traum, die Gesichte der Nacht aber freundliche
Wirklichkeit seien. In solchen Momenten erstarb die Rachsucht fast
ganz in meinem Herzen und ich folgte dem mir gewiesenen Pfade mehr
wie einem mir von oben gegebenen unbewußten Impulse, als einem
inneren Bedürfnis.
    Was der empfand, den ich verfolgte, weiß ich nicht. Mehreremale
fand ich Inschriften von ihm auf Baumrinden oder Steinen,die mir den Weg wiesen und meine Wut von neuem
anstachelten. »Meine Herrschaft ist noch nicht vorüber«, so las ich
z. B. einmal auf einem Felsblock, »du lebst, und das ist es, was
ich will. Komm; ich gehe zu den Regionen des ewigen Eises, wo du
unter dem furchtbaren Frost leiden wirst, gegen den ich
unempfindlich bin. Du wirst nicht weit von hier einen toten Hasen
finden, aber beeile dich; iß ihn, und du wirst dich wieder neu
gestärkt fühlen. Komm, mein Feind, wir haben noch um unser Leben zu
würfeln, aber noch viel Schmerz und Trübsal wird dir bis dahin
zuteil werden.«
    Spöttischer Teufel! Wieder schwor ich mir, mein Rachewerk nicht
aufzugeben, sondern meinen Peiniger einem grausamen Tode zu
überliefern. Lieber wollte ich zu Grunde gehen als meinen Plan
aufgeben. Mit welcher Freude werde ich mich mit denen vereinigen,
die mir im Tode vorausgegangen

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