Frankenstein oder Der moderne Prometheus
aufzugeben, meine einzige Stütze in all dem Elend. Eines
Tages hatten meine treuen Tiere eben den Schlitten einen steilen
Abhang hinaufgezogen; eines von ihnen war dann tot
zusammengebrochen und ich starrte hinaus in die endlose Weite. Da
plötzlich sah ich am dämmerigen Horizont einen dunklen Fleck, der
sich rasch vorwärts bewegte. Ich strengte meine Augen an und stieß
dann einen wilden Freudenschrei aus. Ich hatte einen Schlitten
erkannt und in ihm die mir so wohlbekannte, verhaßte Ungestalt. Wie
ein Sonnenstrahl drang es in mein Herz. Heiße Tropfen rannen mir
aus den Augen, die ich hastig wegwischte, damit sie mir den
Ausblick nach meinem Feind hin nicht verschleierten. Aber immer
wieder wurden mir die Augen feucht und schließlich konnte ich mich
nicht mehr halten und weinte laut.
Aber jede Minute war kostbar. Ich befreite die Hunde von
ihrem toten Genossen und gab ihnen
reichlich Futter; und nach einer Stunde Rast, die uns so bitter not
tat und doch so verderblich sein sollte, setzte ich die Jagd fort.
Der Schlitten war immer noch sichtbar und ich verlor ihn nicht aus
den Augen, außer wenn er gerade einmal hinter einer der hohen
Eisschollen verschwand. Ich gewann sichtlich an Terrain, und als
ich nach weiteren zwei Tagen meinen Feind nur mehr eine Meile von
mir entfernt erblickte, jubelte ich.
Aber jetzt, da ich meinte, nur die Hand nach ihm ausstrecken zu
müssen, wurden meine Hoffnungen plötzlich vollkommen vereitelt und
ich verlor die Spur des Dämons gründlicher als je zuvor. Ich
vernahm das gewaltige Brüllen der See unter mir, das immer mehr
anschwoll. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, und setzte die
letzten Kräfte meiner Tiere ein. Aber vergebens! Ein starker Wind
erhob sich, die Eisfläche zitterte wie unter einer mächtigen
Erschütterung und mit einem grellen, lauten Klang barst die
blendende Fläche. Und wenige Minuten später rollten dunkle Wogen
zwischen mir und meinem Feinde. Ich trieb auf einem losgerissenen
Eisstück, das zusehends kleiner wurde, davon und machte mich auf
mein baldiges grausiges Ende gefaßt.
Schlimme Stunden habe ich da verlebt. Mehrere von meinen Hunden
erlagen der grimmigen Kälte und auch ich selbst gab langsam die
Hoffnung auf. Plötzlich sah ich Ihr Schiff, das davor Anker lag.
Neuer Lebensmut rieselte mir durch die Adern und zugleich dachte
ich freudig daran, daß ich mit Ihrer Hülfe vielleicht mein Werk zu
Ende führen können würde. Ich hatte ja nie daran gedacht, daß ich
so hoch da oben einem Schiff begegnen könnte. Schnell zerschlug ich
meinen Schlitten und konstruierte mir ein paar Ruder, mit deren
Hilfe ich meine Eisscholle dem Kutter entgegensteuerte. Ich hatte
mir aber fest vorgenommen, falls Sie nach Süden abfahren sollten,
mich wieder dem Eise anzuvertrauen und keinesfalls meinen Plan
aufzugeben. Ich hegte die Hoffnung, daß Sie mir ein Boot zur
Verfügung stellen würden, in dem ich die Verfolgung meines
Peinigers wieder aufnehmen könnte. Aber Sie fuhren nach Norden, und
hier gehe ich meinem Ende entgegen, das
ich nur fürchte, weil meine Aufgabe noch nicht erfüllt ist.
Wann wird wohl mein guter Engel mich zur Ruhe betten, der ich so
sehr bedarf, wenn ich meinen Dämon vernichtet habe; oder soll ich
sterben, wenn er noch lebt? Wenn das eintreten sollte, so schwören
Sie mir, Walton, daß Sie die Verfolgung aufnehmen und ihn nicht
lebend entkommen lassen. Rächen Sie mich an ihm! Und dennoch, darf
ich es Ihnen denn zumuten, das alles zu erdulden, was ich erduldet?
Nein! Aber ich bitte Sie, wenn ich tot bin und er kreuzt irgendwo
Ihre Wege, geleitet von den Geistern der Rache, ihn zu töten;
schwören Sie mir das! Er soll nicht triumphieren über mein Weh und
seinen Schandtaten noch neue hinzufügen. Er ist beredsam und seine
Worte sind einschmeichelnd; sie hatten ja einst sogar mich betört.
Aber trauen Sie ihm nicht; seine Seele ist ebenso häßlich wie sein
Leib, voll von Bosheit und fanatischer Tücke. Hören Sie nicht auf
ihn; nennen Sie die Namen: Wilhelm, Justine, Clerval, Elisabeth,
meines Vaters und den des armen Viktor, und stoßen Sie ihm dann
Ihren Degen in die Brust. Mein Geist wird in Ihrer Nähe sein und
Ihnen die Klinge führen.
26. August
17..
Du hast diesen seltsamen und furchtbaren Bericht gelesen, und
fühlst Du nicht Dein Blut erstarren? Oftmals ergriff den Erzähler
die Todesangst, sodaß er aufhören mußte. Dann fuhr er wieder fort
mit bebender Stimme das Weh zu schildern, das sein Teil geworden
auf Erden. Bald
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