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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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waren, und mich entschädigen für all
das Leid meines Lebens und die Qualen meiner letzten Fahrt!
    Je weiter ich nach Norden kam, desto tiefer wurde der Schnee,
desto schärfer die Kälte, sodaß ich oft nicht mehr glaubte sie
ertragen zu können. Die wenigen Bewohner dieser Landstriche hielten
sich in ihren Hütten verborgen, und nur die kühnsten von ihnen
wagten es dem Froste zu trotzen, um das Wild zu fangen, das, von
der Kälte erstarrt aus seinen Schlupfwinkeln kam, um Futter zu
suchen. Die Flüsse waren von einer festen Eisdecke überspannt, und
Fische, von denen ich sonst zum größten Teil lebte, waren nicht zu
haben.
    Je größer die Mühseligkeiten wurden, die ich zu überwinden
hatte, desto lauter triumphierte mein Feind. Eine seiner
Inschriften lautete: »Mache dich auf Schweres gefaßt; deine Leiden
beginnen ja jetzt erst. Hülle dich vorsorglich in Pelze und sorge,
daß dir die Vorräte nicht ausgehen; denn bald kommen wir in
Landstriche, wo du so Furchtbares zu dulden haben wirst, daß selbst
meine unauslöschliche Rachsucht zufriedengestellt sein wird.«
    Durch diese höhnischen Aufforderungen wurde mein Mut und meine Ausdauer immer wieder neu belebt. Ich bat
den Himmel um Kraft und durchzog die unendlichen Ebenen, bis der
Ozean am Horizont erschien wie eine graue Barriere. O wie anders
ist doch das Meer, das im Süden blaut! Mit Eis bedeckt, unterschied
es sich vom festen Land nur durch seine Zerrissenheit und Wildheit.
Die Griechen weinten einst vor Freude, als sie von der Höhe des
Gebirges aus das Mittelmeer erblickten, und jubelten, weil endlich
ihre Mühsalen zu Ende gingen. Ich weinte nicht, aber ich sank auf
die Kniee und dankte meinem guten Geiste, daß er mich so weit
geführt, meinem Feinde zum Trotz, den ich nun bald fassen und
niederringen durfte.
    Schon einige Wochen war es her, daß ich mir einen Schlitten und
Hunde angeschafft hatte, mit denen ich in fliegender Hast die
Schneewüsten durchquerte. Ich weiß nicht, ob mein Feind sich
derselben Mittel bediente; aber wenn ich bisher immer weiter hinter
ihm zurückgeblieben war, so kam ich ihm jetzt doch wieder näher.
Als ich den Ozean schaute, war er mir mehr als eine Tagesreise
voraus, und ich hoffte, mit ihm zugleich den Strand zu erreichen.
Ich spannte deshalb alle meine Kräfte an und kam nach zwei Tagen an
einen einsamen Weiler in der Nähe der Küste. Ich fragte die
Bewohner nach dem, den ich verfolgte, und erhielt genaue Auskunft.
Ein gigantisches Ungeheuer, erzählten sie mir, sei in der
vorhergehenden Nacht angekommen. Es sei mit einer Flinte und
Pistolen bewaffnet gewesen und habe durch sein schreckliches
Aussehen alle in Furcht versetzt, sodaß sie aus ihren einsamen
Hütten flohen. Er hatte ihnen ihre ganzen Wintervorräte weggenommen
und sie auf einen Schlitten verladen, der mit einer Menge Hunde
bespannt war. In der gleichen Nacht sei er dann zur Freude der
geängstigten Bewohner in das zugefrorene Meer hinausgefahren, und
zwar in einer Richtung, in der kein Land lag. Sie seien der
Ansicht, daß er von den berstenden Schollen verschlungen werden
oder in der grimmigen Kälte zu Grunde gehen müsse.
    Als ich das vernahm, packte mich, wenn auch nur einen Moment
lang, die Verzweiflung. Er war mir entwischt und eine
endlose Jagd durch die Eisschollen des
Meeres stand mir bevor, die sicherlich meinen Tod herbeiführen
mußte, denn ich, als Kind eines freundlichen, sonnigen Landes,
durfte nicht hoffen, der Kälte Trotz bieten zu können, die selbst
jene rauhen Menschen, die diese Gegenden als Pelzjäger aufsuchten,
nur kurze Zeit zu ertragen vermochten. Aber der Gedanke, daß mein
Feind noch lebte, brachte jedes Bedenken zum Schweigen. Nach einer
knappbemessenen Ruhepause machte ich mich wieder auf den Weg,
nachdem ich meinen Landschlitten mit einem für die Fahrt über Eis
mehr geeigneten vertauscht und mich mit hinreichenden Vorräten
versehen hatte.
    Wie lange ich seitdem unterwegs bin, weiß ich nicht. Aber die
furchtbaren Mühseligkeiten hielt ich nur aus, weil mich der Gedanke
an die baldige Rache aufpeitschte. Ungeheure Eisberge versperrten
mir oftmals den Weg und unter mir rauschte das Wasser des Ozeans,
das mich zu verschlingen drohte. Aber der Frost hielt sie in
Banden, sodaß ich sicher darüber hinwegglitt.
    Nach dem Verbrauch an Lebensmitteln zu urteilen, war ich etwa
drei Wochen unterwegs, und die Verlängerung meiner Qualen preßte
mir manchmal heiße Tränen aus den Augen. Ich begann schon die
Hoffnung

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