Franley, Mark
Zöllner konnte sich der Gänsehaut, die ihm über den Rücken lief, nicht erwehren, doch nach einem großen Schluck Wein ging es wieder. Er hatte das Glas noch nicht ganz abgesetzt, als es drüben in der Kirche einen Schlag tat, den er als die große, schwere Kirchentür identifizierte.
Ein lauter Hilfeschrei ließ ihn zum zweiten Mal zusammenzucken, dann sprang er auf und wollte schon in die Kirche laufen, als ihm der Zettel wieder einfiel. Deutlich vorsichtiger schob er den schweren Vorhang ein Stück zur Seite und blickte hindurch. Am anderen Ende, dort wo sich das Becken mit den Weihwasser befand, stand eine verstört wirkende Frau, deren erneuter Ruf sich mehrfach in dem Gewölbe brach. »Hilfe ... ist denn hier niemand ... ich brauche Hilfe«, hallte es mehrfach zu ihm herüber. Etwas geschockt, aber doch erleichtert, dass es nur eine Frau war, trat Zöllner durch den Vorhang und eilte durch die Bankreihen zu ihr hinüber. Als er nahe genug war, um nicht mehr schreien zu müssen, rief er: »Was ist denn los, was haben Sie denn?«
Verängstigt wich die Frau, er schätzte sie auf Anfang dreißig, einen Schritt von ihm zurück und stammelte panisch: »Er ist hinter mir her. Bitte verriegeln Sie die Tür. Er will mich wieder schlagen.«
»Wer ist hinter Ihnen her?« Zöllner versuchte einfühlsam zu klingen.
»Mein Mann ... er hat es wieder getan ...«, keuchte die Frau und wiederholte noch einmal: »Bitte verschließen Sie die Tür. Wenn er so drauf ist, wird er sich auch von Ihnen nicht aufhalten lassen!«
»Ist gut, ist gut!«, versuchte er sie zu beruhigen, ging in den Windfang der Kirche und legte einen schweren Riegel um. Anschließend kehrte er in das Hauptschiff zurück, wo die Frau nun deutlich erleichterter aussah, und sagte in der typischen Stimmlage eines Pfarrers: »Alles in Ordnung, Sie sind in Sicherheit. Wie heißen Sie denn eigentlich?«
Wie in Zeitlupe wandelte sich der Gesichtsausdruck, der, wie er nun feststellte, recht attraktiven Frau, von verängstigt zu einem überlegenen Grinsen: »Mein Name ist Karla und so, wie du mein Alptraum warst, werde ich nun deiner!« Mit diesen Worten zog sie einen silbern glänzenden Revolver unter ihrer weiten Jacke hervor und zielte genau auf seinen Kopf.
Da Zöllner nicht wusste, was er sonst tun sollte, hob er die Hände und blickte sprachlos in den Lauf der Waffe. Es dauerte einen Augenblick, dann reagierte auch der Rest seines Körpers. Etwas schien seinen Magen unbarmherzig zusammenzudrücken und jede Kraft aus seinen Knien abzuziehen.
»Was wollen Sie?«, fragte er stammelnd.
Das böse Grinsen der Frau wurde noch breiter: »Ich will Angst und Verzweiflung in deinen Augen sehen!« Dann machte sie eine antreibende Geste mit der Waffe und bestimmte: »Los, zum Glockenturm!«
»Aber das muss doch alles nicht sein«, versuchte sich Zöllner herauszureden. »Wollen Sie Geld, oder soll ich meine Schuld offiziell zugeben?« Von der sonst so souveränen Stimme des Pfarrers war nicht mehr allzu viel übrig, fast klang es, als wäre er den Tränen nahe.
»Halt die Schnauze, du perverses Schwein, und tue, was ich dir gesagt habe!«, schrie sie ihn an und zog den Hahn des Revolvers zurück.
Ein Schweißtropfen war Zöllner ins Auge gelaufen und zwang ihn zu zwinkern, trotzdem versuchte er ihrem Blick standzuhalten. Da er immer noch keine Anstalten machte sich zu bewegen, riss Karla der Geduldsfaden. Ohne jede Warnung streifte der Schuss Zöllners Schulter und schlug dann in einem der großen Ölgemälde hinter dem Pfarrer ein.
Der erste Schock sorgte dafür, dass zunächst der Schmerz ausblieb. Ungläubig blickte Zöllner erst auf den zerrissenen Stoff seines Messgewandes, das sich langsam rot färbte, dann wieder auf den Revolver, aus dessen Lauf ein dünner Streifen Rauch aufstieg.
»Los jetzt!«, wiederholte Karla emotionslos und nun setzte sich Zöllner in Bewegung.
Bereits nach der dritten Wendung der steilen Treppe ging Zöllners Atem schwer, was sie aber nur damit quittierte, dass sie ihm den Lauf des Revolvers schmerzhaft in den Rücken stieß. Trotz seines Luftmangels keuchte der Pfarrer: »Sie sind verrückt, wenn Sie glauben damit durchzukommen.« Dann besann er sich und fragte: »Was haben Sie überhaupt mit mir vor?«
»Du bekommst das, was du verdient hast! Noch nicht einmal mein Gesicht hast du dir gemerkt!«, spie Karla aus und stieß ihn erneut nach vorne, wodurch er fast stolperte und einen Schrei ausstieß, da er mit der verletzten Schulter gegen
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