Franz Eberhof 05 - Sauerkrautkoma
Düfte verströmt.
»Kaffee ist eigentlich nur für Kunden«, sagt die Tussi jetzt und begafft mich erneut über den Rand der geschmacklosen Sehhilfe.
»Prima«, sag ich und drücke aufs Knöpfchen. »Vermitteln Sie denn auch Astronauten?«
Sie schnauft tief durch und wühlt in den Akten.
»Nicht? Wie schaut’s dann mit Walfängern aus? Müssen auch gar nicht viele sein. Sagen wir drei. Oder vier?«
Sie atmet abermals kräftig, kommt aber schließlich mit einem Ordner im Arm zu mir rüber.
»Hier hab ich die Unterlagen. Ich kann Ihnen eine Kopie machen, wenn Sie wollen?«
Ich werf einen kurzen Blick in die Unterlagen.
»Perfekt!«, sag ich und trinke meinen Kaffee aus.
Sie verschwindet in ein angrenzendes Zimmer und kehrt ein paar Augenblicke später mit den Kopien wieder zurück.
»Bitte sehr«, sagt sie.
»Danke sehr«, sag ich, weil ich ja schließlich Manieren habe. »Und wie schaut’s jetzt mit den Walfängern aus?«, frag ich noch mal und muss grinsen.
Sie schüttelt den Kopf. Und jetzt muss sie auch grinsen. Na, also, geht doch.
Nachdem ich – zurück in der Löwengrube – die Telefonnummer der Eltern von dieser Branka Ibranovic rausgefunden habe, ruf ich dort einmal an. Sie wohnen in Leipzig, alsokann ich davon ausgehen, dass sie der deutschen Sprache mächtig sind.
»Ibranovic«, tönt es durch die Muschel. Die Stimme ist männlich. Ich muss mich kurz räuspern. Und dann versuch ich, mit all meinem schon rein angeborenen Fingerspitzengefühl die Todesnachricht so schonend wie möglich zu überbringen.
»Herr Ibranovic?«, sag ich ganz leise, aber durchaus mit einer hintergründigen Tiefe im Tonfall. »Sie müssen jetzt ganz stark sein, hören Sie. Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, ist wahrscheinlich ein tiefer Schock für Sie und Ihre ganze Familie. Vielleicht setzen Sie sich erst einmal.«
Ich hör ein schweres Atmen durch die Leitung.
»Sitzen Sie?«
»Ja.«
»Also Folgendes, Herr Ibranovic. Mein Name ist Eberhofer. Kommissar Eberhofer. Ich bin ein Polizeibeamter bei der Kripo in München. Haben Sie das verstanden?«
»So weit ja. Und was wollen Sie von mir?«, will er jetzt wissen.
»Ihre Tochter Branka. Sie ist, ja wie soll ich sagen? Also sie ist gestorben. Ihre Tochter Branka ist leider tot. Mein tiefstes Mitgefühl, ehrlich«, sag ich und muss mich jetzt wieder räuspern.
Er murmelt irgendetwas, das ich nicht verstehe, vermutlich auf Serbisch oder so, und er sagt es auch nicht direkt zu mir. Vielmehr eher so in den Raum hinein. Anschließend gibt’s ein Mords-Geraschel in der Leitung.
»Herr Ibranovic? Sind Sie noch dran? Können Sie mich hören?«, frag ich nach und klopf ein paarmal auf den Apparat.
»Ibranovic«, sagt plötzlich eine ganz andere Stimme. »Mein Bruder hat gesagt, Sie wollten mich sprechen. Was ist denn eigentlich los?«
Bruder??? Ich muss jetzt schnell mal meine Gedanken sortieren.
Ach so.
»Ja, genau«, sag ich, weil ich endlich den Durchblick zurückhab. »Ihre Tochter ist tot. Branka, sie ist gestorben …«
Dann hör ich einen dumpfen Aufprall. Was ist denn das jetzt?
»Hören Sie, Herr Kommissar!« Plötzlich ist schon wieder der andere dran. Ja, was denn jetzt?
»Mein Bruder ist gerade zusammengebrochen. Wir müssen uns jetzt erst einmal um ihn kümmern, verstehen Sie. Geben Sie mir bitte kurz Ihre Nummer, wir rufen zurück, sobald er versorgt ist.«
Ach, du meine Güte! Im Hintergrund herrscht jetzt ein Stimmengewirr, von dem ich jedoch nichts verstehen kann. Ich geb ihm freilich meine Nummer durch und häng ein.
Hinterher fahr ich heim nach Niederkaltenkirchen, weil ich dieses furchtbare Zimmer da am Rotkreuzplatz natürlich nicht genommen hab – wenn man mal meinen wunderbaren Saustall gewohnt ist, kann man sich schlecht mit einer 60er-Jahre-Jugendherberge zufriedengeben, ausgeschlossen. Unterwegs läutet mein Telefon, und der Ibranovic ist wieder dran. Also der erste, praktisch der Onkel von der Verstorbenen. Nein, sagt er, seinem Bruder geht es nicht besser, seiner Schwägerin erst recht nicht, und es hat sogar ein Arzt kommen müssen. Dann will er wissen, was denn überhaupt passiert ist. Und drum erklär ich ihm schnell und so gründlich wie nötig und so schonend wie möglich die aktuelle Aktenlage. Danach will er freilich noch wissen, wo seine Nichte jetzt ist. Am Ende vereinbaren wir ein Treffen in der Gerichtsmedizin für morgen, damit er den Leichnam identifiziert. Die Eltern der Toten wären dazu nicht in der Lage, sagt er.
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