Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Sprachschatz im Busch. Und dann kommt so ein sprachgewaltiger Prediger und macht ihnen buchstäblich die Hölle heiß. Sie leben ohnehin schon in der Hölle auf dieser Welt und dann verspricht man ihnen noch die Hölle in der kommenden Welt. Das ist wie eine Gehirnwäsche.« Die Kirche versucht dem entgegenzuwirken, die Attacken der Pfingstler auf verschiedene Weise zu kontern. Es gibt auch in ihren Reihen Charismatiker, die Millionen begeistern. Der brasilianische Priester Marcelo Mendonça Rossi ist ein Mega-Medienstar, seine tägliche Radiosendung hören bis zu 15 Millionen Menschen. In S ã o Paulo hat Rossi mit den Einnahmen aus Musikalben und Büchern wie »Agape«, die in Brasilien die Bestsellerlisten und Charts anführen, ein gigantisches Kirchenzentrum errichten lassen, mit Platz für gut hunderttausend Gläubige. Als Symbolfigur der »Charismatic Catholic Renovation« versucht Rossi das Gegengewicht zu den Pfingstlern zu sein und nutzt gleichzeitig ähnliche Elemente wie sie in seinen Gottesdiensten, um besonders jugendliche Katholiken zu begeistern und neu- oder wieder zurückzugewinnen für die katholische Kirche. Mit Erfolg, nicht wenige Religionswissenschaftler sehen in erster Linie Rossi als einen der Hauptgründe für Millionen Gläubige an, nicht die Kirche zu verlassen.
Der Einfluss Rossis kann allerdings nicht die Frage verhindern, weshalb die Kirche derzeit so wenig und die Pfingstler so viel Erfolg haben. Antworten darauf gibt es genug. Die Kirche Lateinamerikas leidet an einer inneren Zerrissenheit, Spannungen zwischen dezidiert konservativen Kreisen und dezent liberalen Zirkeln treten deutlich zu Tage. Diese Zerrissenheit wird verschärft durch die Frustration vieler Lateinamerikaner, die sich seit Jahrzehnten von Rom missachtet fühlen, der Streit um die Befreiungstheologie hat das Ansehen des Vatikans schwer beschädigt. Als 1968 in Medellín die Zweite allgemeine lateinamerikanische Bischofskonferenz zusammenkam (»CELAM«), war das eines der frühen und entscheidenden Ereignisse für die Befreiungstheologie, deren Namen auf ein Buch von Gustavo Gutiérrez zurückgeht. Für viele Lateinamerikaner bedeutete das neue Hoffnung, eine Aufbruchsstimmung war in den Pfarreien und Diözesen zu spüren. Und nach wie vor wirken zahlreiche »Befreiungstheologen« in den Straßen und Hinterhöfen lateinamerikanischer Städte: »Dass die Befreiungstheologie tot sei, ist ein kompletter Unsinn. Der Schritt, den die Befreiungstheologie geht, ist, dass die Not des Volkes gesehen wird, wie Gott sie gesehen hat, dass sich die Kirche mit dieser Not identifiziert. Dann stellt sich die Frage: Was können wir tun, welche Antwort geben wir als Kirche?«, erklärt Bischof Kräutler, den die Gläubigen in Brasilien nur Dom Erwin nennen. Sein Amtsbruder, der brasilianische Kardinal Claudio Hummes, formulierte dazu den inzwischen legendären Satz: »Man kann auf neue Fragen keine alten Antworten geben.«
Neue Antworten versuchen vor allem die Basisgemeinden zu geben, die eminent wichtig sind für die lateinamerikanische Kirche und Gesellschaft. Besonders in den 60er- und 70er-Jahren galt diese Art von Gemeinde als Vorbild und Hoffnungsträger, sogar europäische Theologen sahen darin die passende Reaktion auf eine Kirche im Wandel, eine Kirche zwischen Säkularisation und Globalisierung. In Deutschland gibt es seit einiger Zeit die »Kleinen Christlichen Gemeinschaften« (KCG), die das Pfarreileben in Zeiten von Strukturreformen und Kirchenschließungen lebendig halten sollen und zugleich die Gläubigen intensiv einbeziehen und aktiv teilnehmen lassen an »Kirche«. Trotz solcher Adaptionen sind die Zeiten romantischen Schwärmens vorbei, das lateinamerikanische Modell kann nicht einfach kopiert und auf die hiesigen Gegebenheiten aufgepflanzt werden. Man hat längst erkannt, dass das Konzept der lateinamerikanischen Basisgemeinden deshalb funktioniert, weil es auf die aktuelle Situation vor Ort abgestimmt ist, die völlig anders als die in Deutschland ist. In Lateinamerika muss die Kirche noch mehr »Option für die Armen« sein und ihr Handeln und Predigen auf Länder abstimmen, in denen teilweise 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Priester, Theologen und Gläubigen auf dem Subkontinent verschiedene Strategien entwickelt, in den zerrütteten Gesellschaften so etwas wie Kitt zu sein. Berühmt wurde ein Dreischritt, der das Vorgehen der Kirche definiert:
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