Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Konkurrenzkampf mit christlichen Sekten und anderen Weltreligionen, die in manchen Gegenden aggressiv vorrücken. Es sind viele Fronten und Franziskus kennt einige davon aus eigener Erfahrung. Sein Rezept dagegen klingt einfach und könnte auf eine Kirche, die in Europa bisweilen fatalistisch oder narkotisiert vor sich hin dämmert, wirken: »Jesus lehrt uns diesen Weg: Geht hinaus. Geht hinaus und teilt euer Zeugnis, geht und kommt mit euren Brüdern in Kontakt, geht hinaus und teilt, geht hinaus und fragt.«
Das Rezept mag einfach klingen und ist offensichtlich sehr überzeugend. So überzeugend, dass Jorge Mario Bergoglio im Jahr 2001 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt wird. Schon damals ist der Mittsechziger eine Ausnahmeerscheinung unter seinen Mitbrüdern. In seiner Heimatdiözese wird er geschätzt, obwohl er kein Charismatiker im eigentlichen Sinne ist. Die Bilder, die nach der Papstwahl so beeindruckt haben, die eine große Gelöst- und Gelassenheit zeigen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bergoglio auch ungemein wortkarg sein kann. Besonders gegenüber der Presse, er gab so gut wie nie Interviews. Er ist auch kein intellektuelles Genie wie sein Vorgänger Benedikt XVI. Schon gar nicht ist er ein so besessener Publizist wie der deutsche »Professoren-Papst«. Wenige Bücher hat Bergoglio veröffentlicht, er selbst liest am liebsten den russischen Dichter-Theologen Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Franziskus ist gescheit und gelehrt, aber sicher wird ihn niemand irgendwann als »Mozart der Theologie« adeln, wie man das mit Papst Benedikt XVI. getan hat. Der neue Papst ist ein klassischer Seelsorger mit einem großen Gespür für die soziale Not und dem Empfinden für Gerechtigkeit. Berühmt die Erzählungen, dass er selbst in einem kleinen Apartment lebte und nicht wie manche seiner Vorgänger im feudalen Erzbischöflichen Palais von Buenos Aires. Sein Essen kochte er selbst, seine Mutter hatte es ihm beigebracht. Auf die Frage nach seinen Kochkünsten antwortete der damalige Kardinal: »Früher habe ich sogar für meine Studenten im › Collego Massimo ‹ das Mittagessen gekocht. Nun, zumindest hat dieses Essen noch niemanden umgebracht.« Auf diesen Sätzen und mehr noch, auf dieser Art zu leben und zu handeln beruht die Liebe der Gläubigen zu ihrem Erzbischof. Seine Bescheidenheit und Zurückhaltung machen es glaubwürdig, wenn er ihnen erzählt, er sei einer von ihnen. Weil er den Bus oder die Tram benutzt, nimmt ihm der Büroarbeiter die Predigten über das tägliche Leben ab. Weil er in die Slums geht, wirkt es authentisch, wenn er Häftlingen oder Prostituierten von Jesus und dessen Nähe zu den Ausgestoßenen erzählt. Er kann gegen Verschwendung wettern, weil er seinen Anhängern nach seiner Erhebung in den Kardinalsstand riet, nicht nach Rom zu fahren und ihn zu feiern, sondern das Geld stattdessen den Armen zu spenden. Und weil er das Gleiche nach seiner Papstwahl erneut getan hat, bekommt sein Kampf gegen den Materialismus eine persönliche Note. Er wirkt echt, so trivial das klingen mag. So, wie er bei seinen ersten Auftritten nach der Papstwahl Sonderbehandlungen ablehnte, bei seiner ersten Messe in der Sixtinischen Kapelle an einem einfachen Holzpult stehend predigte, so wie er sogar seine Hotelzimmerrechnung für die Tage vor dem Konklave selbst bezahlte. Einfach. Echt.
Dieser Mann, das spürten seine Gläubigen im Bistum in all den Jahren und das spürten die Gläubigen auf dem Petersplatz in den wenigen Minuten, dieser Mann lebt, was er predigt, und predigt, was er lebt. Er predigt Wasser und trinkt Wasser. Er ruft dazu auf, zu den Armen zu gehen, und er geht zu den Armen. Er fordert Demut und Bescheidenheit und zeigt Demut und Bescheidenheit. Der neue Papst Franziskus ist authentisch. Ein kleines Wort, dieses authentisch. Aber für eine Kirche, die an Glaubwürdigkeit verloren hat, ist Authentizität ungeheuer kostbar.
Authentizität war sicherlich ein Grund, Jorge Mario Bergoglio zu wählen. Doch man darf sich nichts vormachen, strategische und kirchenpolitische Erwägungen spielen in einem Konklave immer eine Rolle, und das ist auch gut so. Die Entscheidung für Bergoglio war nicht zuletzt eine sehr rationale Abwägung. Denn als Argentinier bringt er ein Wissen um die Situation in Lateinamerika mit, und zwar ein Wissen aus Erfahrung. Das bedeutet schlicht: Dieser Papst weiß aus eigenem Erleben, wie ein Großteil aller Katholiken lebt. Er kennt das
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