Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Konzept der Basisgemeinden, die möglicherweise Europa inspirieren können, wenngleich die Konzepte nicht eins zu eins übertragbar sind. Selbst in der pastoral-strukturellen Situation kann Franziskus auf Kenntnisse zurückgreifen, die für die europäische Kirche mit ihren Strukturreformen und Pfarreienzusammenlegungen interessant ist. Ein Beispiel dafür stammt aus einem Interview mit der inzwischen eingestellten Zeitschrift »30Giorni«. Bergoglio wird gefragt, ob »all unsere funktionellen Lösungen, all unsere konsolidierten Pläne und pastoralen Projekte über den Haufen geworfen werden?«. Und er antwortet: »Ich habe nicht gesagt, dass pastorale Systeme unnötig sind. Im Gegenteil. An sich ist alles, was auf Gottes Wege führen kann, gut. Meinen Priestern habe ich gesagt: ›Tut eure Pflicht; die Aufgaben eures Amtes kennt ihr ja, übernehmt eure Verantwortung und lasst dann die Tür offen. ‹ Unsere Religionssoziologen sagen uns, dass sich der Einfluss einer Pfarrei auf einen Umkreis von 600 Meter erstreckt. In Buenos Aires liegen zwischen einer Pfarrei und der nächsten circa 2000 Meter. Ich habe den Priestern damals gesagt: ›Wenn ihr könnt, mietet eine Garage, und wenn ihr den einen oder anderen disponiblen Laien auftreiben könnt, dann lasst ihn nur machen! Er soll sich um diese Leute hier kümmern, ein bisschen Katechese machen, ja, auch die Kommunion spenden, wenn er darum gebeten wird. ‹ Ein Pfarrer entgegnete mir: ›Aber Pater, wenn wir das tun, kommen die Leute nicht mehr in die Kirche! ‹ ›Na, und?«, meinte ich nur. ›Kommen sie denn jetzt zur Messe? ‹ ›Nein ‹ , musste er zugeben. Und wennschon! Aus sich selbst hinauszugehen bedeutet auch, aus dem Garten seiner eigenen Überzeugungen hinauszugehen, die unüberwindbar werden, wenn sie sich als Hindernis entpuppen und den Horizont verschließen, der Gott ist.«
Solche Zitate schüren die Hoffnung, dass der neue Papst für Aufbruch, für Veränderung sorgt. Ein bisschen hat er bereits etwas verändert, mit seiner Namenswahl, seinem ersten Auftritt, seiner ersten Presskonferenz und seinem ersten Angelus. Das ist ein Wandel durch Annäherung, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie dieser funktioniert, hat Franziskus vor seiner Wahl erklärt: »Das Ausharren im Glauben impliziert das Hinausgehen. Denn gerade dadurch, dass man im Herrn bleibt, geht man aus sich selbst heraus. Paradoxerweise gerade dann, wenn man bleibt, ändert man sich, weil man gläubig ist. Man bleibt nicht gläubig, wenn man wie die Traditionalisten oder die Fundamentalisten am Buchstaben klebt. Treue ist immer Änderung, Aufkeimen, Wachstum. Der Herr bewirkt eine Änderung in dem, der ihm treu ist.« Papst Franziskus ist der erste nichteuropäische Papst seit mehr als 1200 Jahren, der letzte war Gregor III., ein Syrer. Er wird den Wandel bringen, wie er es oben beschrieben hat. Nur bedeutet dieser Wandel nicht, dass sich alles ändert. In einigen Fragen, besonders ethischen, vertritt Franziskus Positionen, die in Europa als ausgesprochen konservativ gelten. Eine Frauenordination wird es mit diesem Papst fast sicher nicht geben. Für ihn sind Frauen entscheidend und wichtig für die Arbeit in den Gemeinden, das ja. Aber eben nicht für das Priesteramt zugelassen. In Sachen »Abtreibung« und »Gleichgeschlechtliche Ehe« war er als Erzbischof und Kardinal ein hitziger Gegner der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Dieser Streit spitzte sich zu und blieb nicht der einzige. Am 15. Juli 2010 schrieb Kardinal Bergoglio eine »Brief zur Senatsabstimmung in Buenos Aires über ein Gesetz zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen und der Adoption durch Homosexuelle«. Darin bezog der Kirchenmann Stellung, klar und unmissverständlich: »Hier wirkt der Neid des Teufels, durch den die Sünde in die Welt kam: ein Neid, der beharrlich das Ebenbild Gottes zu zerstören sucht – Mann und Frau, die den Auftrag erhalten, zu wachsen, sich zu mehren und sich die Erde untertan zu machen. Seien wir nicht naiv: Es geht nicht einfach um einen politischen Kampf, sondern um einen Versuch der Zerstörung des Planes Gottes.«
Solche drastischen Worte gehören zum Standardrepertoire des neuen Papstes. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Amt Petri ihn in diesen Fragen versöhnlicher machen wird. Für viele Gläubige ist das nicht nur ein Ärgernis, sondern eine offene Wunde, an der sie leiden und die Franziskus nicht schließen wird. Es ist tatsächlich nicht zu
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