Franziskus, der neue Papst (German Edition)
»Bergoglio hatte nie irgendwelche Verbindungen zum Regime.« Seine kirchlichen Mitbrüder gehen ohnehin weiter und sehen eine Kampagne gegen den neuen Papst, so zum Beispiel der emeritierte Bischof Miguel Hesayne von Viedma, der glaubt: »Für mich ist das eine große Verleumdung. Er hat alles unternommen, was möglich war, um verfolgten Menschen zu helfen.« Die Jesuiten in Deutschland wiederum haben einen der beiden Priester von damals, Franz Jalics, aufgenommen und auf ihrer Homepage eine Stellungnahme des Paters veröffentlicht, die so lautet: »Ich kann keine Stellung zur Rolle von P. Bergoglio in diesen Vorgängen nehmen. Nach unserer Befreiung habe ich Argentinien verlassen. Erst Jahre später hatten wir die Gelegenheit mit P. Bergoglio, der inzwischen zum Erzbischof von Buenos Aires ernannt worden war, die Geschehnisse zu besprechen. Danach haben wir gemeinsam öffentlich Messe gefeiert und wir haben uns feierlich umarmt. Ich bin mit den Geschehnissen versöhnt und betrachte sie meinerseits als abgeschlossen.«
Für Pater Jalics mögen diese abgeschlossen sein, für andere sind sie es nicht und werden es vielleicht auch nie sein. Die Kardinäle haben also einen Mann gewählt, auf dessen Vergangenheit ein Schatten liegt, das kann man nicht anders feststellen. Der Vatikan hat zwar nach der Wahl umgehend eine Kampagne »antiklerikaler Kräfte« gewittert. Bergoglio selbst hatte lediglich einmal erklärt: »Ich habe getan, was ich – angesichts meines Alters und meiner wenigen Beziehungen – tun konnte, um den Verschwundenen zu helfen.« Trotzdem wird die Vergangenheit ein Diskussionsthema bleiben – ein Streitpunkt und andererseits ein Anhaltspunkt zugleich, wie sehr die Kardinäle von ihrer Wahl überzeugt gewesen sein müssen. Sie werden um die Gerüchte gewusst haben. Und haben sie in Kauf genommen. Genauso wie die Tatsache, dass der neue Papst bereits 76 Jahre alt ist und damit nur zwei Jahre jünger, als sein Vorgänger es bei dessen Wahl im Jahr 2005 war. Sie haben akzeptiert, dass Bergoglio von Kind an ein Lungenleiden hatte und mit 21 Jahren einen Lungenflügel operativ entfernt bekam. Das alles haben die Kardinäle hingenommen – sicherlich ein Indiz dafür, dass Papst Franziskus sie mit seinen Worten, Taten und seinem Charakter zutiefst beeindruckt haben muss.
Es gibt ein Bild von Jorge Mario Bergoglio, das ist noch gar nicht so alt. Es zeigt den ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires, wie er kniet, vor sich eine weiße Waschschüssel auf dem Boden. Er trägt nicht die Mitra des Erzbischofs, sondern nur ein weißes Gewand. Bergoglio kniet über der Waschschüssel. In seiner Hand hält er einen Fuß. Einen staubigen, schmalen Fuß. Den Fuß eines Drogenabhängigen oder Obdachlosen, in kurzen weißen Shorts und verwaschenem T-Shirt. Der Junge blickt auf den knienden Erzbischof vor ihm. Und dieser küsst ihm den Fuß. Auf dem Bild um ihn herum sind noch mehr Menschen und eine junge Frau macht die Botschaft des Fotos erst aus. Während Bergoglio ganz nahe an den Fuß herangeht, sein Gesicht darüber beugt, den Fuß mit seinen Lippen berührt, hält sich diese junge Frau im Hintergrund die Hand vor den Mund. Sie sinkt etwas zurück im Stuhl, in ihren Augen sind Fassungslosigkeit, vielleicht sogar ein wenig Ekel zu sehen. Ekel. Obwohl sie selbst zu denen gehört, denen Bergoglio die Füße küssen wird.
Das Bild ist etwa fünf Jahre alt, von einer der traditionellen Fußwaschungen am Gründonnerstag. Der kniende Erzbischof und die zurückweichende, ihre Hand vor den Mund schlagende Frau sagen mehr aus als viele Interviews und Beschreibungen. Es ist eine Tradition, eine Geste. Aber es zeigt den alten Kardinal Bergoglio, den neuen Papst Franziskus, wie er das Bild einer Kirche abgibt, das viele nicht mehr sehen können. Ein Bild der Demut und des Dienstes an den Außenseitern. Eine Kirche der Geringsten und Schwachen. Eine Kirche, die wirklich »Option für die Armen« ist. Zu denen zu gehen, vor denen sich sogar die eigenen Leute ekeln, das ist die Kirche eines Mannes, der sich Franziskus nennt. Das ist der Mann, der einer Kirche vorsteht, die sich in einem »Mehr-Frontenkrieg« befindet. Diese Kirche kämpft gegen die »Diktatur des Relativismus«, das große Schreckgespenst des Ratzinger-Papstes. Sie muss mit Säkularisierung und Globalisierung ringen, die alte Glaubenssätze in Frage stellen und neue, wie Materialismus oder Individualismus, verabsolutieren. Die Kirche befindet sich im
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