Franziskus, der neue Papst (German Edition)
einen Kain gar?
Im Zentrum stehen zwei Geschichten. Die eine handelt von Orlando Yorio und Franz Jalics, zwei Jesuiten wie Jorge Mario Bergoglio. Inspiriert von der Konferenz in Medellín 1968 und der Befreiungstheologie, die nicht nur soziale, sondern auch politische Züge trägt, wollen die beiden Priester die »Option für die Armen« sein, sie gehen in die Slums von Buenos Aires. Was dann geschieht, ist nicht ganz klar. Die einen sagen, Bergoglio habe ihnen geraten, aus den Slums zurückzukehren, um nicht in Gefahr zu geraten. Yorio und Jalics allerdings hatten davon nichts wissen wollen und den Orden verlassen, worauf Bergoglio sie ans Messer geliefert hätte. Nicht direkt, aber indirekt, da er ihnen keinen Schutz mehr gewähren wollte. Andere verweisen auf die Geschichte, die der damalige Provinzial später einmal selbst erzählt hat: Demnach habe er von der Verhaftung 1976 erfahren und alles versucht, um seinen beiden Mitbrüdern zu helfen. Nicht als lautstarker Kritiker, sondern als leiser Taktiker. Er habe den Hauskaplan von Diktator Jorge Videla gebeten, eine Erkrankung vorzutäuschen. Dieser habe gehorcht und damit ermöglicht, dass Bergoglio die »Vertretung« übernahm. Nach der Messe habe der Jesuiten-Obere die Chance genutzt und bei Videla interveniert und sich für die Freilassung seiner Mitbrüder eingesetzt. Tatsächlich kommen die beiden Jesuiten frei, allerdings hatten sie fast ein halbes Jahr im berüchtigten Foltergefängnis Escuela de Mecánica de la Armada, im Volksmund nur »Esma« genannt, leiden müssen. Wieder draußen, klagt vor allem Orlando Yorio seinen Provinzial an, wirft ihm Untätigkeit und sogar Verrat vor.
Die zweite Geschichte dreht sich um die Frauen, die jede Woche zur Plaza de Mayo kommen. Während der Militärdiktatur verschwinden mehrere zehntausende Menschen. Verschwinden bedeutet: Sie werden gefangen genommen und gekidnappt, gedemütigt und geschlagen, gefoltert und getötet. Babys werden ihren Müttern weggenommen und Regimetreuen gegeben, Familien zerstört, bevor sie richtig angefangen haben, eine Familie zu sein. Besonders die Familie von Elena de la Cuadra wirft nach dem Sturz des Regimes Bergoglio vor, er habe aus Feigheit nicht gehandelt. Er habe alles gewusst und nichts getan. Elena de la Cuadra behauptet: »Bergoglio hat eine wirklich feige Haltung, wenn es um so etwas Schreckliches geht wie den Diebstahl von Babys. Er sagt, er habe darüber nichts gewusst bis 1985. Er stellt sich nicht dieser Realität und es stört ihn nicht einmal. Es ging nur darum, seinen Namen zu retten, sich selbst zu schützen. Aber er kann nicht verhindern, dass diese Verstrickungen an die Öffentlichkeit gelangen. Die Menschen hier wissen, wie er ist.«
Diese Vorwürfe wiegen schwer. Trotzdem hat Jorge Mario Bergoglio lange keine Stellung dazu bezogen. Und das, obwohl er inzwischen der mächtigste und ranghöchste Priester Argentiniens geworden war. Am 28. Februar 1998 wird er zum Erzbischof von Buenos Aires ernannt. Konfrontiert mit den Vorwürfen, streitet Bergoglio alles ab. Tatsächlich gibt es nicht nur die Behauptungen und Anschuldigungen, sondern genauso Stimmen, die den Erzbischof in Schutz nahmen, entlasteten oder ihn sogar für sein Vorgehen lobt. Beispielsweise die Menschenrechtlerin Graciela Fernández Mejide, die über Bergoglio sagt: »Ich habe während der Militärdiktatur hunderte von Zeugenaussagen in die Hände bekommen. Auch während meiner Tätigkeit in der Nationalen Kommission für vermisste Personen habe ich unzählige Zeugenaussagen gelesen. Nicht ein einziges Mal ist der Name ›Bergoglio ‹ gefallen, nicht einmal als ein möglicher Drahtzieher. Ich habe keine Anzeichen dafür, dass er ein Komplize der Diktatur war.« Zu einem ähnlichen Urteil kommt Alicia Oliveira. Die ehemalige Richterin war Regime-Gegnerin, wurde mundtot gemacht und arbeitet heute als Rechtsanwältin. Sie ist eine der führenden Stimmen, die die Aufklärung der Diktatur, die unter der Christina Fernández de Kirchner weiter vorangetrieben wird, fordern. Oliveira bestätigt Mejide und erklärt: »Als die Diktatur mich hinausgeschmissen hat, war er auf meiner Seite. Als die Junta hinter mir her war, hat er sich auf meine Seite gestellt. Ich bin von Jorges Standfestigkeit überzeugt.« Sogar Friedensnobelpreisträger und Widerstandskämpfer Adolfo Pérez Esquivel, der sich an Gandhis gewaltlosen Widerstand orientierte, attestiert dem Kirchenmann einen untadeligen Leumund und stellt fest:
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