Franziskus, der neue Papst (German Edition)
verstehen, wie jemand von der Liebe Gottes zu allen Menschen sprechen und zugleich solch einen Brief verfassen kann. So enttäuschend das für viele sein mag, mit großer Sicherheit war es sogar einer der wichtigen Faktoren für die Konklave-Wähler. Schließlich waren sie sich bewusst, dass sie in sozialen Fragen mit Bergoglio einen Papst wählen würde, der mit vielen Traditionen brechen könnte. Wäre er auch in theologischen und ethischen Fragen weitab der Linie, es wäre für nicht wenige der Purpurträger ein zu radikaler Schritt gewesen – abgesehen einmal davon, dass viele seine Positionen inhaltlich schlichtweg teilen. Franziskus mag der neue Papst »vom anderen Ende der Welt« sein. Aber auch dort am Ende gelten manche alte Regeln der Kirche von diesem Ende.
Als am 13. März 2013 erst der Name »Bergoglio« und anschließend der Papstname »Franziskus« verkündet wird, kümmern sich zunächst die wenigsten um diese Regeln und Franziskus ’ Einstellung dazu. Erst in den nächsten Monaten werden das theologische Profil, die ethischen Prämissen, die moralischen Leitlinien verstärkt zum Tragen kommen und zugleich von immer mehr Menschen gelesen und gehört werden. An diesem verregneten März-Mittwoch interessiert erst einmal nur die Tatsache, dass die Kirche wieder einen Papst hat. Allmählich wird vielen bewusst, dass ein lateinamerikanischer Papst, der auch noch Franziskus heißt, etwas Einmaliges ist. Und noch etwas später beginnen die Kommentatoren darüber zu reden, dass es der erste Jesuit ist, der da auf dem Stuhl Petri sitzt. Bei Vatikanjournalisten kursiert bald ein Scherz: »Jetzt haben es die Jesuiten endlich geschafft. Sie stellen den Schwarzen Papst und den Weißen.« Der Scherz spielt auf eine Bezeichnung an, die für den General der Jesuiten üblich ist. Man nennt ihn den »Schwarzen Papst«, weil man den Jesuiten traditionell hohen Einfluss nachsagt. Tatsächlich aber hat der größte katholische Männerorden noch nie einen Papst gestellt, im Gegensatz zu den anderen wichtigen Gemeinschaften. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass jeder Jesuit sich dazu verpflichtet, keine kirchlichen Ämter anzustreben. Und noch eine besondere Wendung der Geschichte: Clemens XIV., der letzte Papst, der aus dem Orden des heiligen Franziskus stammte, ließ die Jesuiten am 21. Juli 1773 als Orden aufheben. Der erste Papst, der aus dem Orden der Jesuiten stammt, übernimmt nun ausgerechnet den Namen des Ordensgründers Clemens XIV. und nennt sich »Franziskus«.
Das sind Kabinettstückchen der Historien, interessant und wissenswert. Viel wichtiger indes sind die Fragen, ob seine Berufung als Jesuit die Art und Weise prägen wird, wie Franziskus sein Amt ausübt. Man darf das mit Sicherheit nicht überinterpretieren. Franziskus ist in erster Linie Oberhaupt der katholischen Kirche. Trotzdem hat die Sozialisation als Jesuit gewisse Erfahrungen gebracht, die in das Pontifikat einfließen könnten. So waren die Jesuiten immer ein Global Player auf den Sektoren Ausbildung und Erziehung. Heute sind sie das mehr denn je, unterhalten Seminare, Hochschulen und Universitäten. Von einfachen Volksschulen bis hin zu der weltberühmten Gregoriana sind die Jesuiten im Bildungssektor präsent. Das ist wichtig in einer Zeit, in der Qualifikation und Erziehung die Schlüssel sind zu gesellschaftlicher Fortentwicklung. Insofern ist ein Jesuiten-Papst wie Franziskus, der auch noch selbst Novizenmeister und Hochschullehrer war, ein deutliches Zeichen: »Das Drama unserer Epoche ist«, hat Papst Franziskus einmal gesagt, »dass der Jugendliche in einer Welt lebt, die ihrerseits noch nicht aus der Adoleszenz hervorgekommen ist. Die Jugendlichen wachsen in einer Gesellschaft auf, die nichts von ihnen erwartet, die sie nicht zur Aufopferung und zur Arbeit erzieht, die nicht mehr weiß, was die Schönheit und die Wahrhaftigkeit dieser Sachen ist. Deswegen schätzt der Jugendliche die Vergangenheit gering und ist erschrocken von der Zukunft. Deshalb liegt es an der Kirche, die Gefühle der Hoffnung neu zu eröffnen.«
Ein zweiter Gesichtspunkt ist die Spiritualität der Jesuiten. Sie ist zu einem Exportschlager geworden und wird als »Exerzitien« in allen möglichen Varianten angeboten. Sie gehen zurück auf das lateinische Wort für »üben« und auf den Ordensgründer selbst, auf Ignatius von Loyola. Ein wichtiger Grundsatz dabei ist die »Scheidung der Geister«. Verkürzt gesagt, geht es um eine spirituelle Einübung,
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