Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Entscheidungsträger im Zentrum dazu neigten, »die Ortskirchen als Verwaltungsbezirke anzusehen, die Bischöfe als einfache Delegierte und Ausführungsorgane der Zentralgewalt«. Stattdessen fordert er: »Man muss zunächst darüber Klarheit schaffen, worin die wahrhaft katholische Auffassung von der Einheit besteht. Sie besagt ganz gewiss nicht möglichst große Vereinheitlichung und auch nicht Konzentration von allem im Zentrum. Zu ihrem Wesen gehört eine Verschiedenheit, die viel tiefer reicht als gewisse oberflächliche, uns geläufige Unterschiede; sie greift in die Bereiche der Spiritualität, der Liturgie, der Theologie, des Kirchenrechts und der Seelsorge hinein. Allein die Tatsache, dass sich im Schoß der einzigen katholischen Kirche Ortskirchen mit ihrer reichen Mannigfaltigkeit vorfinden, müsste genügen, um uns daran zu erinnern.«
Ein halbes Jahrhundert ist das Interview nun alt und es ist aktueller denn je. Geht es um »Zentrum« und »Peripherie«, so schließen sich daran unzählige Fragen an, von denen nur wenige angesprochen werden können. Die grundsätzlichste Frage ist die nach dem Stellenwert, den die »Peripherie«, also die Ortskirchen genießen. Den römischen Zentralismus sehen mehr und mehr Katholiken als Belastung für eine Kirche, die sich in neue Richtungen entwickelt, gesellschaftlich wie geografisch. Sie fordern eine Dezentralisierung und mehr Einfluss für die nationalen Bischofskonferenzen und vor allem die Gemeinden und Gläubigen vor Ort. Die Stärkung der Ortskirchen würde nicht nur Rom entlasten. Die Hoffnung ist, dass die Kirche auf diese Weise flexibler und vor allem adäquater agieren kann. Das gilt für Asien oder Afrika genauso wie für Europa. In Frankreich beispielsweise erregt ein Projekt der Kirche von Poitiers seit einigen Jahren Aufmerksamkeit. Knapp über 600.000 Katholiken leben in dem Erzbistum im Südwesten Frankreichs. Die Zahl der Gläubigen geht zurück, die der Priester noch drastischer. Man hat errechnet, dass es 2017 knapp vierzig Pfarrer geben wird, die jünger als 65 Jahre sind. Angesichts dieser Perspektive hatte der inzwischen emeritierte Erzbischof Albert Rouet sich mit Laiengemeinschaften zusammengetan und, anders als in den meisten Bistümern, einen ganz neuen Weg eingeschlagen. Die Strukturreform, die in vielen Gegenden weniger eine Reform denn eine Reduzierung ist, sollte in Poitiers anders ausfallen – und sie tat es: »Wir wollen nicht, dass die Pfarreien ihre Eigenständigkeit verlieren und plötzlich zu Anhängseln immer größerer Einheiten werden«, so Rouet. Dies verhindern sollen die insgesamt mehr als 300 »Communautés locales«. Das sind Gruppen, die von jeweils fünf Laien geleitet werden. Ihre Amtszeit ist auf drei Jahre begrenzt, drei werden von den französischen Bischöfen ausgewählt, zwei von den Gläubigen vor Ort: »Das ganze Projekt hat eine entscheidende Voraussetzung: Wir vertrauen den Laien, dass sie imstande sind, ihr allgemeines Priestertum, empfangen durch die Taufe, kreativ zu leben. Jeder Mann und jede Frau sollen erfahren: Ich bin etwas wert, man rechnet mit mir, man braucht meine ganz besondere Begabung«, ließ sich Rouet zitieren. Die Gruppe wird, wenn sie einmal gebildet ist, in einem Gottesdienst feierlich entsandt. Symbolisch umfassen die fünf Leiter den Stab des Erzbischofs, damit wird ihre Sendung und Verantwortung ausgedrückt. Einmal im Amt, kümmert sich die Gruppe um Katechesen, Erwachsenenbildung, vor allem aber auch den Wortgottesdienst, der jeden Sonntag stattfindet. Zwar kann Eucharistie weiterhin nur gefeiert werden, wenn der Priester aus der Umgebung kommt. Doch durch den Wortgottesdienst ist zumindest sichergestellt, dass jeden Sonntag Gläubige in der Kirche zusammenkommen. Das Modell Poitiers funktioniert natürlich nicht ohne Schwierigkeiten. Es soll auch nicht als Patentlösung für alle Probleme dienen, die die Kirche belasten, vom Priestermangel hin zum Säkularismus. Aber das Beispiel – gerade in einem laizistischen Land wie Frankreich – zeigt, dass die Stärkung der Ortskirchen eine Stärkung der Gläubigen und damit der Gemeinschaft insgesamt sein kann.
Der zweite Aspekt der »Zentrum-Peripherie«-Diskussion bezieht sich nicht auf das Verhältnis von Rom und Ortskirche, sondern beschäftigt sich mit dem Vatikan selbst. Der Heilige Stuhl ist in den letzten Jahren von einer Reihe von administrativen und politischen Desastern erschüttert worden, von denen Vatileaks nur ein Skandal
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