Franziskus, der neue Papst (German Edition)
des Zweiten Vatikanischen Konzils brachte. Vom Konzil selbst war der gebürtige Franzose hernach so enttäuscht, dass er sich von der Kirche abwandte, 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius X. gründete und begann, Priester in seinem Sinne auszubilden. 1974 veröffentlichte Lefebvre eine Erklärung, die seine eigenen Grundsätze verabsolutierte und die des Zweiten Vatikanischen Konzils verleugnete. Der Vatikan mahnte und strafte ihn ab, der Priesterbruderschaft wurde der Rechtsstatus einer katholischen Gemeinschaft entzogen. Lefebvre hätte nun das Seminar im schweizerischen Econé auflösen müssen. Stattdessen weihte er 1976 einige seiner Anhänger zu Priestern, woraufhin er suspendiert wurde. Am 5. Mai 1988, also mehr als zehn Jahre nach der Suspendierung, schien die Spaltung rückgängig gemacht, die Splittergruppe wieder intergiert werden zu können. Damals unterschrieb Lefebvre ein Papier, in dem er wesentliche Forderungen des Vatikans bestätigte. Für den Heiligen Stuhl unterzeichnete damals ein gewisser Joseph Ratzinger. Der Glaubenspräfekt wurde wenig später von Lefebvre düpiert, als dieser das Abkommen brach und am 30. Juni 1988 zusammen mit dem emeritierten Bischof Antônio de Castro Mayer vier Priester zu Bischöfen weihte. Aus Sicht des Vatikans zogen sich Lefebvre sowie die anderen fünf Beteiligten die Tatstrafe der Exkommunikation zu. Einer der geweihten Bischöfe ist Bernard Fellay. Der heutige Chef der Piusbrüder wandte sich im Dezember 2008 an Lefebvres Verhandlungspartner von 1988: Joseph Ratzinger, der inzwischen zum Papst gewählt worden war und auf den Namen Benedikt XVI. hörte. In seinem neuen Amt zeigte sich der ehemalige Glaubenspräfekt nicht verschlossen, sondern versöhnlich und hob im Januar 2009 die Exkommunikation der vier Bischöfe auf. Diese Entscheidung löste einen Skandal aus, da gleichzeitig bekannt wurde, dass einer der vier, der Brite Richard Williamson, den Holocaust geleugnet hatte. Zwar wurde Williamson später aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen, doch eine Weihnachtsbotschaft von Pater Franz Schmidberger, dem deutschen Distriktoberen der Bruderschaft, zeigt, dass auch die anderen Piusbrüder antisemitische und antijudaistische Tendenzen haben: »Damit sind aber die Juden unserer Tage nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben, wie der Papst bei seinem Synagogenbesuch in Rom 1986 behauptete; sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig, so lange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren.«
Den Vorwurf, Antijudaismus zu dulden, musste sich Benedikt XVI. bereits vorher gefallen lassen. Als er den Tridentinischen Ritus wiederaufwertete, liefen nicht nur jüdische Vertreter Sturm gegen die sogenannten »Karfreitagsfürbitte«. Die Aufhebung der Exkommunikation der Piusbrüder gab diesen Stimmen neue Nahrung, wenngleich der Antijudaismusvorwurf gegenüber Benedikt XVI. jeglicher Grundlage entbehrt. Auch war die Wiederaufnahme der Piusbrüder, wie der Schritt des Vatikans in den Medien oft genannt wurde, keine Wiederaufnahme. Marcel Lefebvre hatte sie und sich durch die illegitime Weihe exkommuniziert, die Kirche verweigerte ihnen daraufhin die Sakramente – das, und wirklich nur das, machte die Entscheidung des Papstes rückgängig. Als Priester wirken dürfen die Lefebvrianer weiterhin nicht. Dafür müssten weitere Schritte erfolgen – alle Gehversuche in diese Richtungen waren in den letzten Jahren ein einziges Stolpern. Ultimaten wurden versäumt und verschoben, eine Präambel hin- und hergeschickt, das Gezerre um die Wiedereingliederung zwischen Rom und den Piusbrüdern glich bisweilen dem Geschachere an der Porta Portese, Roms berühmtestem Flohmarkt. Kurz vor dem Rücktritt berichteten Medien noch einmal über ein Ultimatum – natürlich das letzte, mal wieder – und darüber, dass Benedikt XVI. die quälend langen Verhandlungen gerne noch in seinem Pontifikat beendet und die Spaltung aufgehoben hätte. Es hatte dazu in den letzten Monaten seiner Amtszeit verstärkt Versuche gegeben, jedoch ohne jeden Erfolg. Nun muss man abwarten, was Franziskus tun wird.
Für die Piusbrüder ist diese Situation ein Risiko. Benedikt XVI. ist ihnen in seiner Liebe zur Einheit und der Sympathie für die Tradition weit entgegengekommen. Manche sagen sogar zu weit. Ob das Papst Franziskus tun wird, ist nicht vorherzusehen. Deshalb gab es nicht wenige Piusbrüder, die für ein Einlenken
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