Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Jahrhunderten geht es fast nie darum, was bei Hofe geleistet werden soll und wer dafür befähigt ist, sondern immer nur um eine Frage: Wie nahe komme ich dem Herrscher?
Die Rettung eines Krankenhauses erfordert großen Sachverstand. Das ist eine Aufgabe für Fachleute. Doch dieser Plan zur Zusammenlegung der Krankenhäuser liegt zu Beginn des Jahres 2012 in der Hand des 77-jährigen Tarcisio Kardinal Bertone, eines Mannes, der als Priester dafür ausgebildet wurde, Achtjährige auf die Kommunion vorzubereiten, und der sich in der Moraltheologie auskennt, aber nicht im Verwaltungswesen einer Großklinik. Um seinen Plan, das San-Raffaele-Krankenhaus zu retten, in die Tat umsetzen zu können, benötigt Bertone Geld, viel Geld. Mindestens jedoch sofort 200 Millionen Euro und dann weitere 800 Millionen. Auftreiben soll das Geld natürlich die Vatikanbank, das Istituto per le Opere di Religione, kurz IOR . Der Chef dort heißt Ettore Gotti Tedeschi, ein sehr frommer Mann, der zur Personalprälatur von Opus Dei gehört. Gotti Tedeschi hat einen unschätzbaren Vorteil: Er ist ein enger Freund des Papstes. Benedikt XVI . persönlich holte den Banker zur seit Jahrzehnten durch Skandale erschütterten Vatikanbank.
Natürlich weiß der Banker, dass seine wichtigste Aufgabe darin besteht, die Pläne des Heiligen Vaters zu finanzieren. Pro Jahr nimmt der Vatikan zwischen 250 und 300 Millionen Euro ein, vor allem dank des Peterspfennigs, der direkten Spende an den Papst weltweit. Der Vatikan gibt aber in etwa die gleiche Summe auch wieder aus, in der Staatskasse bleiben meist nicht mehr als fünf bis zehn Millionen Euro als Überschuss übrig. Den größten Batzen der Ausgaben bilden die Gehälter, vor allem für die Angestellten des päpstlichen Radio Vatikan. Der Sender kostet den Papst zwischen 20 und 30 Millionen Euro im Jahr. Mit solchen Zahlen kann ein Mann wie Ettore Gotti Tedeschi jonglieren, aber Kardinal Bertone wollte nicht die eine oder andere Million von ihm, sondern eine Milliarde. Um eine solche Summe aufbringen zu können, müsste der Vatikan mehr als 100 Jahre lang den oben erwähnten Überschuss von rund zehn Millionen Euro erwirtschaften, was extrem unwahrscheinlich ist, weil die Einnahmen der Kirche ständig zurückgehen. Es ist also kein Wunder, dass Gotti Tedeschi die hochtrabenden Pläne ablehnt. Vor allem will der Banker die Unsitte beenden, dass die Kirchenmänner sich in der Vatikanbank bedienen, wie es ihnen gerade gefällt, ohne auf Transparenz und Standards zu achten, die jede gewöhnliche Bank einhalten muss.
Diese Art zu wirtschaften brachte der Vatikanbank eine kaum vorstellbare Demütigung ein. Die Aufsichtsbehörde der Europäischen Union »Moneyval« verdächtigte den Vatikan illegaler Bankgeschäfte und sogar der Geldwäsche. Ausgerechnet der Vatikan, dessen Chef den hochtrabenden Titel des Vikars Jesu Christi tragen darf, schafft es nicht, auf die »White List« zu kommen, das Verzeichnis der Länder, die sich wirksam gegen Geldwäsche einsetzen. Die Schmach ist gewaltig. Der Papst versucht zwar unermüdlich, die ganze Welt von der Morallehre der katholischen Kirche zu überzeugen, die Kirche aber lässt offenbar zu, dass sich Verbrecher ungestört ihrer Bank bedienen. Gotti Tedeschi soll diesen unhaltbaren Zustand beenden. Er fühlt sich moralisch auch durch den Papst, der ihn ja selber engagiert hat, gestützt und kann sich im Januar 2012 nicht ausmalen, dass ihm ausgerechnet die Bekämpfung verbrecherischer Machenschaften innerhalb der Kirche zum Verhängnis werden soll.
Es gibt in diesem Januar 2012 noch einen weiteren Mann, der das Gleiche will wie Ettore Gotti Tedeschi, nämlich ausmisten: Bischof Carlo Maria Viganò. Er sollte die Geschicke des Vatikans im Jahr 2012 maßgeblich prägen. Normalerweise werden unliebsame Männer wie er diskret und folgenlos vom päpstlichen Hof verbannt und möglichst weit weggeschickt, doch im Fall Viganò sollte dieses lang erprobte Verfahren nicht gelingen.
Carlo Maria Viganò, geboren 1941 in Varese in Norditalien, hatte eine Bilderbuchkarriere als Vatikandiplomat hinter sich. Was ihn vor allem ehrte, war der Umstand, dass er seine Zeit als Botschafter des Vatikans nicht auf höchst angenehmen Posten in gut katholischen Ländern wie Spanien oder Polen bei Champagnerempfängen verbrachte, sondern in extrem heiklen Ländern wie etwa Nigeria, einem Land, in dem Mordanschläge gegen Christen und Anschläge auf Kirchen auf der Tagesordnung stehen.
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