Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Leiden ganz offen mit Christus gleichsetzte. Es war zweifellos richtig, dass Christus nicht vom Kreuz herabgestiegen war, denn Christus ist Gottes Sohn, so glaubt das die Kirche. Aber Karol Wojtyła war nur ein Soldatensohn aus dem Kaff Wadowice in Polen.
Karol Wojtyła hatte sich wegen eines ähnlichen Vergleichs mit Christus schon einmal heftigen Ärger eingehandelt, obwohl er daran gar nicht schuld war. Bekannt wurde dieser Christusvergleich erst nach und nach, und zwar immer nur durch Besucher, die es geschafft hatten, bis auf die Dachterrasse der päpstlichen Wohnung im Apostolischen Palast zu gelangen. Auf dieser Dachterrasse war es ein bisschen wie im Schneewittchen-Schloss, die Zeit schien hier stehen geblieben zu sein. Noch im Jahr des Amtsantritts von Papst Benedikt XVI ., 2005, stand hier einer der letzten Schwarz-Weiß-Fernseher Roms in einer Art Sommerlaube, in die sich Karol Wojtyła bei großer Hitze bringen ließ. Ein Künstler hatte hier nach dem beinahe tödlichen Attentat auf den Papst im Jahr 1981 einen Kreuzweg geschaffen. An einer der Stationen, an denen Christus unter dem Kreuz stürzt, war nicht das Gesicht des Jesus von Nazareth in Bronze gegossen worden, sondern das des Karol Wojtyła. Diese Bronzeplatte, auf der Wojtyła mit Christus gleichgesetzt wurde, hatte ihm im Vatikan üble Kritik eingebracht – kein Mensch, auch kein Papst dürfe sich so offen mit Jesus auf eine Stufe stellen.
Die Auffassung Karol Wojtyłas, dass man die Wahl, die Gott trifft, wenn er einen Mann zum Papst bestimmt, nicht durch einen vorzeitigen Rücktritt ihrer mystischen Würde berauben kann, hatte auch damit zu tun, dass eine Papstwahl grundsätzlich auf Lebenszeit gilt – ein Höchstalter ist ja nicht vorgesehen. Diese Interpretation der persönlichen Auserwähltheit des Heiligen Vaters durch Gott verschaffte den Päpsten immer eine ganze Reihe von Vorteilen. Zunächst einmal stärkte das ihre Position in den eigenen Reihen. Kardinäle waren häufig nur aufgrund von Traditionen in ihr Amt berufen worden, ohne Besonderes geleistet zu haben. Wer zum Bischof von Köln ernannt wird, erhält den Kardinalshut automatisch, weil das Tradition ist. Ein Papst hingegen konnte immer darauf verweisen, dass nicht eine weltliche, sondern eine göttliche Autorität ihn auserwählt hat. Diese Vorstellung bildet den inneren Kern des Papsttums. So konnten sich Päpste über alle anderen Herrscher des Globus erheben, und der Rücktritt des Joseph Ratzinger hat jetzt diesen inneren Kern verletzt.
Wer in Rom ein wenig Zeit hat, sollte sich eine Art spätmittelalterlichen Comic nicht entgehen lassen, der wie kein zweiter zeigt, wie zentral dieser Punkt in der Geschichte des Papsttums ist. Hierfür muss man in der Nähe des Kolosseums im Kloster der Santissimi Quattro Coronati um den Schlüssel für die Papstkapelle bitten. Gegen eine kleine Spende bekommt man ihn von einer der Klausurnonnen durch die Gitter gereicht. Die Bildgeschichte, die an den Innenwänden der Kapelle erzählt wird, wurde 1246 im Auftrag von Papst Innozenz IV. angefertigt. Sie erzählt eine Begebenheit, die so nie stattgefunden hat, aber das ist nebensächlich, weil es darum geht, wie die Päpste ihren Besuchern im Mittelalter imponieren wollten (damals gab es noch nicht den heutigen Petersdom und die umgebenden Paläste, die Päpste wohnten noch an der Lateranbasilika).
Auf den Bildern erkennt man Kaiser Konstantin den Großen, der übel an den Pocken leidet. Der Kaiser schickt nun nach Papst Silvester I., der wiederum dem Kaiser erklärt, dass er eben nicht nur ein weltlicher Herrscher wie der Kaiser, sondern ein von Gott auserwählter Mann sei und somit über weit mehr Macht verfüge als der profane Kaiser. Deswegen vermöge er auch die Pocken zu heilen, was denn geschieht. Am Ende der Bildergeschichte versteht man, dass Papst Silvester hier dem Kaiser unmissverständlich klarmacht, wie das auf dieser Erde laufen muss. Der Kaiser geht wie ein Diener neben dem Papst zu Fuß, während Silvester hoch über ihm auf einem Ross thront. Schließlich übergibt Konstantin Silvester noch die Tiara, die dreifache Krone.
Der Papst besitzt also nicht nur die kirchliche, sondern auch die absolute weltliche Macht. Die Botschaft der Geschichte ist ganz einfach: Da Gott einen Papst zu seinem Vikar beruft, ist dieser der wichtigste Mann auf Erden, alle anderen haben auf ihn zu hören. Aus seiner Sicht jedoch hatte Joseph Ratzinger nur das umgesetzt, was er jahrelang
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