Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
noch eine wichtige Aufgabe vor sich: die komplette Führung der Kirche von der Richtigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen.
Deswegen sah er sich auch am Tag, an dem die Katholiken der Welt ihn letztmals als Papst auf dem Petersplatz zu Gesicht bekamen, während der Generalaudienz am 27. Februar, gezwungen, seine Entscheidung in Anspielung auf das Kreuz-Zitat seines Vorgängers vor seinen Anhängern noch einmal zu verteidigen. Benedikt XVI . sagte: »Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus.«
Joseph Ratzinger wusste, dass er mit dieser Entscheidung zum Rücktritt in die Geschichte eingehen würde, dass die Geschichte ihn daran messen und darüber urteilen würde, ob diese Entscheidung richtig gewesen war oder nicht. Deswegen hatte er sich auch am 27. Februar auf diesen Punkt konzentriert und gesagt: »In diesen letzten Monaten habe ich gespürt, dass meine Kräfte nachgelassen haben, und ich habe Gott im Gebet angefleht, mich mit seinem Licht zu erleuchten, um mir zu helfen, die Entscheidung zu fällen, welche nicht für mein eigenes Wohl, sondern für das Wohl der Kirche die richtigste ist. Ich habe diesen Schritt im vollen Bewusstsein seines schwerwiegenden Ernstes seiner Neuheit, aber mit einer tiefen Seelenruhe getan.«
An diesem letzten Tag, während seiner 384. Generalaudienz, hatte Benedikt XVI . endlich einmal Glück mit dem Wetter. Wie oft hatte dieser Papst Pech mit dem Wetter gehabt! Von Anfang an war das so gewesen. Es war Benedikt XVI ., der den eiskalten, verregneten Weltjugendtag im Jahr 2005 ausrichten musste, der immer schlechtes Wetter mit sich brachte. Doch am 27. Februar strahlte die Sonne, und auch Joseph Ratzinger strahlte an diesem Tag, er bedankte sich dafür, dass ihm ein so schöner Sonnentag zum Abschied geschenkt worden war. Er tat mir leid, dieser Joseph Ratzinger, der vor den Gläubigen bekannte, wie schwer es ihm gefallen war, dieses Amt des Papstes, dass er als Nachfolger Petri seine Privatsphäre vollständig eingebüßt und nur noch für die Kirche da zu sein hatte. Er bedankte sich sichtlich gerührt bei den Römern, den Einwohnern seiner Diözese, und betete für seinen Nachfolger und die Kardinäle, die die schwere Aufgabe hatten, einen neuen Papst zu wählen.
Das Gefängnis des Joseph Ratzinger
Ich erinnere mich gut an das Gespräch mit meinem Freund Franco, einem erfahrenen Vatikanexperten, der mich anrief, nachdem ich im ZDF im April 2012 vorhergesagt hatte, dass der Papst zurücktreten werde. Er sagte mir: »Bist du verrückt geworden? Was ist, wenn du einfach zu blöd bist, eine Sensation, die sich nur alle 700 Jahre ereignet, vorherzusagen? Ich fürchte, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass du unrecht hast, und dann stehst du als Idiot da. Du hättest sagen sollen, dass du nicht sicher bist. Dass zwar ein Rücktritt möglich ist, aber zu sagen: ›Dieser Papst wird ohne jeden Zweifel zurücktreten‹, war einfach viel zu gefährlich. Wieso musstest du dich so festlegen?«
Ich wusste damals, dass er recht hatte: Es war zu gefährlich, und an genau dieses Gespräch musste ich denken, als Papst Benedikt XVI . zurücktrat. Eine Frage bewegte mich mehr als alle anderen. Was hatte mich so sicher gemacht? Waren es seine Erklärungen gewesen, dass ein Papst den Kopf immer »über Wasser halten können« und in der Lage sein müsse, die Kirche selber zu regieren? Oder war es eher diese Vorstellung des Joseph Ratzinger, dass Gott ein vernünftiger Gott war, der sein Bodenpersonal in Ruhe in Rente gehen ließ, wenn das für die Kirche sinnvoll war, statt eine mystische Aufopferung des Papstes zu fordern, wie dies Karol Wojtyła gelebt hatte? Wahrscheinlich war es beides zusammen gewesen, aber dass dieser Papst gehen würde, wusste ich spätestens, seitdem Benedikt XVI . in L’Aquila sein Pallium auf den Sarg von Coelestin V. gelegt hatte, mit Sicherheit. Das war wie erwähnt im Mai 2009 gewesen. Der Papst musste also fast drei Jahre lang seinen Rücktritt erwogen haben.
Was ein solcher Rücktritt für die Kirche bedeutete, wusste Joseph Ratzinger zweifellos. Er wusste, dass er damit eine Revolution auslösen würde. Dass dieser Schritt das Amt des Papstes
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