Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
sicher gewusst, dass es der letzte öffentliche Auftritt von Papst Johannes Paul II . war. So war es über Jahrhunderte gewesen.
Doch der Abend dieses 28. Februar 2013 sollte eine weitere Premiere in der Geschichte der Päpste mit sich bringen. Papst Benedikt XVI . hatte verfügt, dass er am späten Nachmittag den Vatikan mit dem Hubschrauber verließ. Nach seiner Ankunft in Castel Gandolfo wollte er dort seine letzte Ansprache an die vor Ort versammelten Gläubigen richten. Das sollte sein definitiv letzter Auftritt in der Öffentlichkeit als Papst sein.
Dank des Vatikanfernsehens CTV , das den Papst den kompletten letzten Tag lang begleitet, wird der letzte Tag des Papstes im Amt erstmals zu einem öffentlichen Event. Kurz nach 16 Uhr ist es dann so weit. Der Papst verabschiedet sich im Hof des heiligen Damasus, demselben Hof, in den er nach den Generalaudienzen 384-mal zurückgefahren worden war, demselben Hof, in dem acht Jahre lang seine Staatsgäste ankamen. Hier empfängt der Papst noch einmal alle seine Mitarbeiter mit deren Familien. Ein donnernder Applaus für ihn, dann kommt es zum sicherlich berührendsten Moment: Sein Fahrer Pietro Cicchetti verabschiedet sich, kniet vor dem Papst und beginnt hemmungslos zu weinen. Er hat den Papst, der selber keinen Führerschein hat, acht Jahre lang gefahren. Joseph Ratzinger hatte in dem Dienst-Mercedes immer ein wenig die Beine anziehen müssen, denn als Daimler ihm einen Mercedes 600 schenken wollte, bestand er darauf, dass er nicht die Langversion für Staatsoberhäupter bekam.
Als am 28. Februar um 17.06 Uhr der Hubschrauber abhebt, stockt der Stadt Rom der Atem. Zehntausende sehen zu, wie der weiße Helikopter der 31. Fliegerstaffel der italienischen Luftwaffe eine Ehrenrunde um den Vatikan und die Peterskuppel dreht, sodass der Papst noch einmal, ein letztes Mal, seine Diözese, die fantastische Stadt Rom, von oben sehen kann. Nach 30 Minuten landet Benedikt XVI . in Castel Gandolfo neben den Kuhställen der Päpste, und damit beginnt das letzte Kapitel des Pontifikates von Joseph Ratzinger. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass man in Zukunft diese letzten Stunden des Pontifikats für den Schlüssel der gesamten Amtszeit von Papst Benedikt XVI . halten wird, denn ihm gelingt an diesem frühen Abend etwas, was seinen Vorgängern fast nie möglich war: Vor den Augen der Welt führt er für ein paar Minuten lang das Amt des Papstes wieder ganz nahe zu den Ursprüngen von Jesus von Nazareth zurück.
Das Problem eines jeden Papstes besteht ja darin, dass er ein steinreicher Monarch ist, der wie ein Superstar gefeiert wird, in riesigen Palästen wohnt, wie sonst kaum jemand mediale Aufmerksamkeit genießt und wie ein Politheld auf der Weltbühne agiert. Damit hat er mit dem zu seiner Zeit völlig unbedeutenden Mann aus Nazareth eigentlich nichts mehr zu tun. Denn Jesus ging sein Leben lang barfuß, erbettelte sich Essen und Trinken. Während seines ganzen Pontifikates war es Ratzinger darum zu tun, dass es niemals um ihn gehen sollte. Er wollte, dass Jesus im Mittelpunkt steht, dass die Botschaft des Mannes aus Nazareth alle Aufmerksamkeit bekommt und nicht der Bayer Joseph Ratzinger.
Wie er sein Amt auszufüllen gedachte, verkündete er bereits zu Beginn seiner Amtszeit am 19. April 2005, als er davon sprach, dass er ein demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn sein wolle. Aber was bedeutete das? Was wollte der demütige Arbeiter im Weinberg des Herrn mit der Weltkirche machen, wie wollte er den Vatikan umbauen, was für Akzente wollte er setzen? Diese Fragen blieben lange Zeit unbeantwortet, und so gab es auch lange Zeit kein klares Bild von diesem Pontifikat. Doch seine letzten Stunden im Amt sagen über den Papst aus Deutschland mehr aus als die ganzen Jahre zuvor. Die Medien der Welt können es schier nicht fassen, dass der Papst seine Amtszeit nicht mit einer Abschiedsbotschaft, einer Art Testament, beendet, sondern mit einem Gruß, der an Schlichtheit nicht zu überbieten ist. Es ist 17.40 Uhr am 28. Februar 2013, als der 264. Nachfolger des heiligen Petrus sich von einer Milliarde Gläubigen verabschiedet – mit dem Gruß »Gute Nacht«! Die letzten zwei Stunden und 20 Minuten in seinem Amt verbringt Papst Benedikt XVI . im Gebet, bevor er sich mit seinem Sekretär Erzbischof Georg Gänswein zum Abendessen setzt.
Das war alles, keine Wehmut, kein Pathos. Keine große Geste, ja nicht einmal der Anschein einer Geste. Joseph Ratzinger ist
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