Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
»Einheit und Harmonie« zu gelangen. Dann wurde es spannend. Vor den Kameras des Vatikanfernsehens CTV vollzog sich ein Schauspiel, das es so in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben hatte. Ohne jede Ankündigung tat der Papst einen Schwur: »Und unter euch, im Kardinalskollegium, ist auch der zukünftige Papst, dem ich schon heute meine bedingungslose Ehrerbietung und meinen bedingungslosen Gehorsam verspreche.« Das war ein Paukenschlag. Nie zuvor hatte ein lebender Papst seinem Nachfolger Gehorsam geschworen. Es gab kein historisches Vorbild und auch keine Regel, wie die Kirche damit umgehen sollte. Bisher waren die Päpste davon ausgegangen, dass eine solche Regel nicht nötig ist. Ein Papst konnte seinem Nachfolger ja gar nicht Gehorsam schwören, weil er bei Amtsantritt des Nachfolgers bereits tot war. Die meisten Kardinäle haben auf diesen Schwur Papst Benedikts anders reagiert, als er erhofft hatte, nämlich mit offenem Entsetzen. Am Tag darauf sollten viele Kardinäle fordern, dass es einen Fall Ratzinger, den Rücktritt eines Papstes, nicht wieder geben sollte. Der neue Papst sollte klarstellen, dass Päpste in Zukunft ihr Amt wieder lebenslang ausübten.
Dieser Schwur des Gehorsams bedeutete aus Sicht der Kardinäle vor allem eines: Der Papst sah sich dazu veranlasst, Gehorsam zu schwören, also spürte er offensichtlich die Notwendigkeit dazu. Es stimmte also mitnichten, dass sich die Frage nach dem Einfluss eines zurückgetretenen Papstes gar nicht stellte. In den ersten Stunden des Rücktritts hatte der Vatikan so getan, als ob das Kirchenrecht alles klären würde, weil es vorschreibt, dass ein zurückgetretener Papst automatisch alle Ämter verliert. Offensichtlich war dem nicht so. Joseph Ratzinger beabsichtigte, mit seinem Schwur des Gehorsams zu zeigen, dass er kein Problem sein wolle, konnte aber nicht ausräumen, dass es ein solches Problem offensichtlich gab.
Nach dem überraschenden Schwur des Papstes kam es zu dem mit äußerster Spannung erwarteten letzten Treffen der Kardinäle mit dem Papst. Die katholische Welt hielt in diesem Augenblick den Atem an. Deutete Papst Benedikt XVI . gegenüber dem Kardinalskollegium an, wen er sich als Nachfolger wünschte? Würde er ein halb verstecktes Zeichen senden, wen er auserwählt hatte? Eine Vorentscheidung schien er schon durch seine Ansprache getroffen zu haben: Er hatte gesagt, dass unter den Kardinälen, die vor ihm saßen, sein Nachfolger sein werde. Damit schloss Ratzinger einen Passus der Regularien zur Papstwahl ganz offensichtlich aus. Im Prinzip kann jeder getaufte männliche Katholik zum Papst gewählt werden. Die im März 2013 gültigen Regeln zur Papstwahl hatte Johannes Paul II . am 22. Februar 1996 erlassen in Form der apostolischen Konstitution Universi Dominici Gregis . Sie sieht vor, dass der zum Papst Gewählte, sollte er kein Priester sein, zunächst zum Priester, dann zum Bischof geweiht werden muss. Benedikt XVI . schloss damit eine Überraschung wie im Fall des letzten Papstes, der gewählt wurde, obwohl er kein Kardinal war – Papst Urban VI . (Pontifikat 1378–1389) –, ausdrücklich aus.
Geduldig empfing Papst Benedikt einen Kardinal nach dem anderen. Auf geradezu bittere Weise fiel der Abschied seines langjährigen Weggefährten und einstmals engen Freundes Tarcisio Bertone aus. Irgendetwas musste zwischen diesen beiden Männern während der Skandale der letzten Wochen und Monate zerbrochen sein. Der Papst verabschiedete ihn vollkommen ungerührt, wie einen unter vielen. Sie hatten einen beträchtlichen Teil ihres Lebens zusammen verbracht, immerhin je sieben Jahre in der Glaubenskongregation und Seite an Seite in der Regierung der Kirche. Alle Kardinäle erwarteten in der Sala Clementina so etwas wie eine letzte enge brüderliche Umarmung. Doch es war nur ein letzter kühler Händedruck, der von der langen Freundschaft blieb. Dafür fiel eine andere kurze Begegnung unerwartet herzlich aus: Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, ein Schüler Ratzingers, hatte dem Papst ein Buch mitgebracht. Dieser bedankte sich artig, wie er es so oft getan hatte, aber überraschend war, dass Schönborn der einzige Kardinal war, den der Papst nicht gleich gehen lassen wollte. Er hielt seine Hand ungewöhnlich lange, als sei er auf eine eigenartige Weise mit ihm verbunden. Viele werteten das damals als ein Vorzeichen.
Spannend wurde es, als einer der Favoriten für die Nachfolge an Benedikt herantrat: Marc Ouellet,
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