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Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Titel: Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Englisch
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wahrscheinlich sogar geboten.«
    »Das sagte er?«
    »Ja, das sagte er. Jetzt wirst du dich nicht wundern, dass es eine ganze Menge Theologen in Lateinamerika gibt, die sagen: Super, Thomas von Aquin ist der größte Theologe aller Zeiten, seine Philosophie, seine Theologie sind ein offizieller Teil der Lehre der katholischen Kirche. Warum setzen wir das nicht einfach um? Eine Gesellschaft zu schaffen, in der es weniger Sünde gibt, lässt sich leicht bewerkstelligen. Es ist kein Problem, wir bewaffnen die Massen, stürmen die Paläste, verteilen den Reichtum in Lateinamerika neu um, und danach wird es garantiert weniger Sünde geben als zuvor. Die Armen werden nicht mehr verhungern und die Reichen nicht mehr verprassen, was sie gar nicht brauchen. Leuchtet doch irgendwie ein, oder?«
    »Ja« sagte ich, »das leuchtet ein.«
    »Das leuchtet auch den Kirchen in Lateinamerika ein; so fing alles an, so entstand der radikale Arm der Theologie der Befreiung. Sie akzeptierten und wollten Gewalt, auf der Basis der Lehre des wichtigsten katholischen Theologen aller Zeiten.«
    »Gewalt ist keine Lösung«, sagte ich.
    »Das magst du so sehen, aber viele Theologen hier sahen das anders. Ich kann verstehen, dass Rom damit seine Probleme hatte. Aber es gab auch Männer, die sich radikal für die Armen einsetzten, doch ganz klar gegen den gewaltbereiten Flügel der Theologie der Befreiung waren, wie Jorge Mario Bergoglio. Der hat einen Theologen der Befreiung, Lucio Gera, immer seinen Lehrer genannt. Das ist der gewaltfreie Arm der Theologie der Befreiung, dennoch machte Rom ihm nur Ärger. Es geht nicht um die wenigen Extremisten, es geht nicht darum, die Theologie der Befreiung zu bekämpfen, wie Rom das tut. Es muss darum gehen, die Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Verstehst du das denn nicht? Der Papst muss anprangern, wie ungerecht die Verhältnisse in Lateinamerika sind. Die Reichen müssen einfach anfangen zu teilen. Es gab mal einen Mann, der am See Genezareth sagte: Selig sind die Barmherzigen. Das ist der Weg, den Männer wie Bergoglio gehen wollen. Wenn du ihn fragst, wie man diese schreiende Ungerechtigkeit bekämpfen kann, dann würde er sagen: Die Lösung von allem ist Barmherzigkeit.«
    »Und warum versteht der Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, die Befreiungstheologie nicht?«, fragte ich. Die Patres schaufelten die Bananenchips in sich hinein und lachten über mich. »Ratzinger hat die Theologie der Befreiung nie verstanden. Das kann er auch gar nicht, weil er noch nie in eine Favela gegangen ist, in der sich gerade verfeindete Banden beschießen. Ich würde wetten, dass er auch noch nie Drogen gesehen hat und die menschlichen Wracks nicht kennt, die übrig bleiben, wenn die Drogen mit ihnen fertig sind. Wenn ihr das verstehen wollt, was es bedeutet, in eines dieser Elendsviertel allein und unbewaffnet und ohne Polizeischutz hineinzumarschieren und lebendig wieder herauszukommen, dann musst du zu diesem Mann gehen, Jorge Mario Bergoglio.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Weil er dir dann etwas ganz Wichtiges erklären wird.«
    »Was denn?«
    »Dass es keinen Sinn macht, einer Frau oder einem Mann den Katechismus zu erklären, ihnen zu sagen, was sie zu glauben und zu tun und zu lassen haben, was sie über Gott zu denken und wie sie zu ihm zu beten haben, dass all das keinen Sinn macht, wenn diese Frau oder dieser Mann so viel Hunger haben, dass sie Erde essen würden.«
    Nur ein Jahr später, 1999, sollte ich wieder auf den Namen Bergoglio stoßen – diesmal im Vatikan und in Italien.

Das Prinzip Bergoglio
    »Bergoglio«, sagte sie, und ich musste eine Weile überlegen, wo ich den Namen schon einmal gehört hatte.
    »Der Argentinier?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie, »der Argentinier«. Sie war die spannendste Frau, die ich in 25 Jahren Vatikan kennengelernt habe. Ihre Geschichte war so unglaublich, dass ich wochenlang nach ihr suchte, als ich davon hörte. Sie war Ordensoberin, aber nicht irgendeine, sondern sie gehörte zur Weltorganisation der Ordensoberinnen. Sie war mitverantwortlich für das tägliche Leben in den Tausenden Frauenklöstern dieser Erde. Der Sitz der Weltorganisation befindet sich ganz in der Nähe der Engelsburg. Der Vatikan hatte ein Treffen organisiert, um über das Leben der Frauen in den Klöstern zu beraten. Was sollte verändert, was verbessert werden? Es gab eine Sonderkommission, sie bestand aus 50 Mitgliedern. Unter ihnen war nicht eine einzige Frau, die auch

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