Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
nur irgendetwas hätte mitbestimmen können. In einer der Sitzungen, in der sie eigentlich nur hätte zuhören sollen, sagte sie leise und respektvoll einfach ihre Meinung, mehr nicht. Dann fragten sich die Kardinäle untereinander: »Wer ist eigentlich diese schreckliche Nonne?«
Nach diesem Zusammenprall musste sie verschwinden. Ich fand sie schließlich in einem Karmeliterinnenkloster in einer kleinen, aber wunderschönen, uralten Etruskerstadt im Norden Latiums, in Sutri. Wir sprachen lange miteinander, und sie erzählte mir von ihrer Arbeit in Lateinamerika: »Man muss sich entscheiden als Priester in Lateinamerika«, sagte sie, »entweder man entscheidet sich für den einen, schwierigen Weg wie Bergoglio oder den anderen.«
»Ich verstehe kein Wort«, entgegnete ich.
»Sehen Sie«, sagte sie. »In den weißen, reichen Familien in Lateinamerika, in Chile, Brasilien oder Argentinien arbeiten oft Mischlingsmädchen aus den Slums. Die meisten werden von den Padronas ausgenutzt, geschlagen, niedergemacht. Nachts kommen die Ehemänner in die Zimmer der Mädchen und vergewaltigen sie, als wären sie Vieh. Unter den halbwüchsigen Söhnen der Reichen ist es eine ganz normale Art von Gewalt, den Hausmädchen nachzustellen und sie manchmal zusammen mit dem Vater zu vergewaltigen. Die Ehefrauen nehmen das oft hin, dann gehen ihre Männer immerhin nicht zu den Huren und holen sich keine Krankheiten. Wenn die Mädchen schwanger werden, schmeißen die Padronas sie raus, enthalten ihnen oft den Lohn vor, beschimpfen sie als Huren und schicken sie in die Slums zurück, aus denen sie gekommen sind.«
In den Augen der Ordensfrau flackerte eine maßlose Empörung auf. »Jetzt gibt es zwei Arten von Priestern in Lateinamerika, nur zwei. Die einen bringen in den teuren Eliteschulen Lateinamerikas den Söhnen der Reichen, die nachts die Mischlingsmädchen brutal quälen, Mathematik, Latein und die Lehre der Kirche bei. Sie dienen sich als eine Art privater Beichtvater an, nehmen Platz an den gewaltigen Tafeln der Reichen, fahren mit in die vornehmen Ferienhäuser. Das ist die eine Art von Priestern. Es gibt aber noch eine zweite, die suchen diese schwangeren, wie auf den Müll geworfenen Mischlingsmädchen auf, um ihnen zu helfen, das Kind großzuziehen, trotz der Armut, und nicht in die Falle der Drogen und der Prostitution zu tappen. In Lateinamerika müssen sich die Priester entscheiden: Entweder sie stehen auf der einen Seite oder auf der anderen.«
Ich nickte, ja, das verstand ich.
»Bergoglio weiß ganz genau, wo er steht: auf der Seite von denen, die unten sind, ganz weit unten.«
Begegnung in Brasilien
»Ich will nicht mit Jorge Bergoglio sprechen«, schrie ich das Mädchen fast schon an. »Ich suche Hummes, Kardinal Cláudio Hummes, nicht Bergoglio, verstehen Sie das denn nicht?«
Sie war ein atemberaubend hübsches Mädchen, saß hinter dem Schalter der Organisation der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz CELAM (Consejo Episcopal Latinoamericano) – die 2007 anlässlich des Besuchs von Papst Benedikt XVI . in Brasilien am Marienheiligtum Basílica de Nossa Senhora Aparecida tagte – und ignorierte mich völlig, spielte jedoch weiter an ihrem Handy herum. Sie war so gekleidet, wie fast alle weiblichen Mitarbeiter der Kirche auf dieser Welt gekleidet sind: schwarzer Rock weiße Bluse. Doch sie trug eine wahnsinnig sexy Version einer weißen Bluse und dazu einen kurzen schwarzen Rock, der auf den Index der verbotenen Dinge in der katholischen Kirche gehörte, wenn er da nicht schon stand. Ich versuchte, in ihr von lauter SMS , MMS und E-Mails vernebeltes Hirn vorzudringen.
»Ich suche Cláudio Hummes, Kardinal Hummes, nicht Bergoglio.«
Das Mädchen deutete auf eine Gruppe Bischöfe und sagte: »Da kommt Bergoglio, er ist einer der besten Freunde von Hummes, fragen Sie ihn, wo der Kardinal ist.«
»Hat Kardinal Hummes nicht ein Büro, wo ich ihn suchen kann?«
Sie tippte irgendeine Nachricht in ihr Handy und sah mich an mit einem Blick, der bedeutete: »Nerv mich nicht!« Dann antwortete sie: »Ich weiß nicht, ob Kardinal Hummes hier ein Büro hat; mein Gott, fragen Sie doch mal eben Bergoglio, der wird Ihnen schon Auskunft geben.« Sie wandte sich ab und widmete nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit ihrem Handy. Ein Fotografenkumpel stand neben mir, deutete auf das Mädchen und flüsterte mir ins Ohr: »Sag mal, wenn sich die ultrakatholischen Mädchen, die für die Bischofskonferenz arbeiten, so anziehen und
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