Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
obwohl er lediglich etwas völlig Vernünftiges gesagt hatte.
Ich ging also auf Jorge Mario Bergoglio zu in der Hoffnung, dass er wusste, wo Hummes war. Er stand im Konferenzsaal zu Füßen des riesigen Marienheiligtums Nossa Senhora Aparecida, und seine Art zu sprechen war so einnehmend, dass ich beschloss, doch meine Neugier auf diesen Mann zu stillen und endlich zu erfahren, wer Bergoglio denn nun wirklich war, und das Projekt Hummes auf später zu verschieben. Ich postierte mich in der Nähe der Bischöfe, die um Bergoglio herumstanden, und nickte ihm zu. Er sah auf meine Kennkarte, die um meinen Hals hing, und realisierte, dass ich mit dem Papst gekommen war. Er nickte zurück und sprach weiter mit den Bischöfen.
Das Erste, was mir auffiel, war ein Detail, über das ich in Rom immer gehört hatte und das definitiv nicht stimmte. Es hieß immer, dass Bergoglio, dessen Familie aus der Gegend um Asti stammte, ein Italiener sei, ein Mann, dessen italienische Wurzeln ihn zu dem gemacht hatten, was er jetzt war. Das war definitiv Unsinn. Der Mann, der da vor mir stand, war kein Exilitaliener, sondern Argentinier durch und durch. Er sprach mit den Bischöfen über ein Thema, über das ich noch nie einen italienischen Bischof hatte reden hören: die wachsende Bedeutung des pazifischen Raums und das daraus resultierende Problem für das Christentum. Das Mittelmeer war in der Antike das Zentrum der Welt gewesen, mit der Entdeckung Amerikas wurde zunehmend der atlantische Raum mit den USA wichtiger, jetzt jedoch spielte die Musik in der Pazifikregion. Dort, zwischen Amerika und Asien, vor allem mit China und Indien, wurden die Geschäfte gemacht, und dort lebten mehr als drei Milliarden Menschen. Aber das bedeutet auch, dass im neuen Zentrum der Welt das Christentum keine Rolle mehr spielt. Nur noch drei Prozent der Bewohner des pazifischen Raums, eine winzige Minderheit, sind Christen. Dem Christentum war es in 2000 Jahren nicht gelungen, in Asien nennenswert Fuß zu fassen. Shiva, Buddha, Mohammed oder Konfuzius waren und sind in Asien die wichtigsten Vermittler zwischen dem Übernatürlichen und den Menschen, kaum jedoch Jesus von Nazareth.
Bergoglio wies darauf hin, welche Bedeutung der pazifische Raum bekommen hatte und dass die Welt heute anders aussähe, wenn man seinen Orden, die Jesuiten, hätte machen lassen. Am Hof der chinesischen Kaiser hatten Jesuiten eine entscheidende Rolle gespielt und großen Einfluss ausgeübt. Sie hätten vermutlich eine Chance gehabt, China zu christianisieren, wenn der Jesuitenorden vom Papst nicht zerschlagen worden wäre. Bergoglio betonte, wie wichtig die Pazifikregion für sein Heimatland Argentinien werde – den größten Teil seiner Exporte von genetisch modifiziertem Soja, Mais und Getreide liefert Argentinien längst nach Asien. Im Vatikan hingegen ging es nur um italienische und europäische Fragen. Dass die Welt viel größer geworden war und sich verändert hatte, dass andere Weltreligionen wie zum Beispiel der Hinduismus nicht eine solche dramatische Krise durchmachten wie das Christentum, besprachen die italienischen Kardinäle in Rom so gut wie nie.
Bergoglio ließ sich Zeit in dem Gespräch, an dem nun auch ich teilnahm. Es war ein großer Vorteil, dass sich damals kein Mensch aus Europa und den USA für diese Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe interessierte. Außer dem Gefolge des Papstes waren nur wenige Medien vertreten. Die meisten Bischöfe und Kardinäle sprachen deswegen gerne mit den Medien, die aus Europa gekommen waren. Bergoglio unterstrich, wie wichtig es gewesen war, dass Papst Benedikt den Bischöfen der CELAM völlig freie Hand gelassen hatte. Es gab für die Bischöfe keine Vorgaben, sie konnten beraten und entscheiden, was sie wollten.
Es ging vor allem um das Hauptproblem – den Schwund der katholischen Kirche. In allen Ländern Lateinamerikas, vor allem in der Karibik, in Mittelamerika und Brasilien, kommt es zur »feindlichen Übernahme« ganzer Teile der Anhängerschaft der katholischen Kirche durch die aus den USA stammenden Freikirchen. Der Grund für den Erfolg der Freikirchen ist schlicht und einfach die bessere Show: In den Gottesdiensten der Freikirchen, in den kleinen Sälen wie in den großen Hallen der Starprediger, geht einfach die Post ab. Da wird gesungen, getanzt, laute Musik gespielt, die Gläubigen leben sich auch schon mal in Trance aus. All das ist eine Weiterentwicklung der relativ starren Regeln der Messfeiern
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