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Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Titel: Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Englisch
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die verhassten Protestanten zu bekämpfen, die in Deutschland dank eines gewissen Martin Luther für erheblichen Ärger mit dem Papst gesorgt hatten. Dabei ging es im Grunde nur um Geld, um die Unsummen, die der Bau des Peterdoms gekostet hatte.
    »In Lateinamerika bauten die Jesuiten so etwas wie eigene Staaten auf«, klärte mich Pater Evelio auf. »Sie legten Farmen an, bohrten Brunnen, brachten den Indios bei, Ackerbau zu treiben. Sie errichteten riesige Manufakturen, produzierten Zucker, Kartoffeln, später Kakao, zum Teil lange bevor die Staaten Lateinamerikas überhaupt entstanden. Du wirst einen Jesuiten wie Bergoglio nie begreifen, wenn du eines nicht verstehst: Die Jesuiten sind in Lateinamerika immer Macher gewesen. Sie waren keine Gelehrten im stillen Kämmerlein. Sie sind losmarschiert und haben angepackt. Sie waren in Lateinamerika nie der Orden, der sich damit begnügte, den Menschen von Christus zu erzählen. Sie haben immer versucht, ihnen dabei zu helfen, ein lebenswertes Leben aufzubauen, seit Jahrhunderten ist das so. Das treibt Jesuiten wie Bergoglio an.« An diesem Abend erfuhr ich zum ersten Mal von einem der eigenartigsten Staaten der Geschichte: dem Jesuitenstaat, der im heutigen Paraguay zwischen 1610 und 1767 bestand.
    »Es waren die Jesuiten, die erkannt haben«, so Pater Evelio, »dass die Indios Menschen sind. So lächerlich das heute klingen mag, aber die Einwanderer bezweifelten das. Die Jesuiten haben befestigte Lager angelegt, sogenannte Reduktionen. Dort konnten die Indios vor den spanischen und portugiesischen Sklavenhändlern Zuflucht suchen. Ein Mann wie Bergoglio war immer stolz darauf, dass die Jesuiten in Lateinamerika den mächtigen Königen von Spanien und Portugal ein Dorn im Auge waren, weil sie versucht haben, die Schwächsten, die Indios, zu schützen, sogar mit Geld und mit Waffen. Sie waren so gut, dass die Spanier und die Portugiesen so lange Druck auf den Papst machten, bis der die Jesuiten auflöste. Jetzt durften die Indios in Lateinamerika wieder straflos wie Tiere gejagt und versklavt werden. Erst im Jahr 1814 wurde der Orden wieder zugelassen. Sie sind Macher, vergiss das nicht!«
    Das Abendessen des Kardinals hatte sich dem Ende zugeneigt, er stand jetzt auf der Terrasse, offenbar froh, frische Luft zu schnappen. Ich ging mit Pater Evelio zu ihm, und er akzeptierte ein Gespräch. Am meisten beeindruckte mich an ihm, dass er erklären konnte, wie anders die Kardinäle in Lateinamerika die Juden sahen. Ich hatte ihn meiner Bewunderung für seine Verdienste versichert, doch er winkte ab. Er gab mir zu verstehen, dass in Lateinamerika viele Probleme völlig anders gelagert sind. Ob ein gläubiger Jude, ein überzeugter Protestant oder ein tief religiöser Katholik zu Gott betete, war in Lateinamerika eigentlich egal. Die tiefen Gräben zwischen den Religionen, die zunächst die Glaubenskriege und dann die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg aufgerissen haben, hatte es in Lateinamerika nicht gegeben. Mochte es in Europa vielerlei Gründe für Streit und Kampf zwischen Protestanten, Katholiken und Juden geben, in Lateinamerika war das Zusammenleben zwischen den Religionen viel selbstverständlicher. Ich hätte mir damals auf der Terrasse mit Kardinal Antonio Quarracino niemals träumen lassen, dass es dieses Miteinander der Religionen bis in den Vatikan hinein, in das Herz des Katholizismus, schaffen könnte in Gestalt von Papst Franziskus. Über ihn sagte ein argentinischer Rabbiner kurz vor der Wahl Bergoglios: »Ich gehe öfter zu Bischof Bergoglio, um ihn um Rat zu fragen. Er ist mein Rabbiner für mich, ein Mann, dessen Rat ich gerne befolge.«
    Erst am Ende des Gesprächs damals auf der Terrasse wurde Kardinal Antonio Quarracino aber doch noch misstrauisch. Ich fragte ihn nach Bergoglio, und er sah mich mit großem Unbehagen an. Ich konnte in seinem Blick spüren, dass er mir angemerkt hatte, dass ich möglicherweise begriffen hatte, wieso er in Rom war und was er vorhatte. Er wollte Bergoglio als seinen Nachfolger empfehlen, und das war in der katholischen Kirche eigentlich tabu. Ich kannte Dutzende solcher Fälle, in denen Bischöfe mit aller Macht versucht hatten, liebgewonnene und treue Diener zu ihren Nachfolgern zu machen. Das stieß in Rom fast ausnahmslos auf heftige Gegenwehr. Es gab nur zwei ganz geringe Chancen: Entweder musste der Bischof, der seinen Nachfolger einsetzen lassen wollte, einen extrem guten Draht zum Papst haben, oder aber der

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