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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ich.
    »Welchem Hospiz?«
    Ich gehe weiter nach rechts zum nächsten Wohnzimmer, zum nächsten Esszimmer, dem nächsten Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Jugendzimmer, während Evie mir
auf Schritt und Tritt folgt und das Publikum neben uns herzieht.
    »Man weiß doch, wie das ist«, sage ich. »Wenn du einen Schwulen so und so lange nicht siehst, kannst du dir ziemlich sicher sein.«
    Und Evie sagt: »Du weißt also im Grunde nicht genau, dass er tot ist?«
    Wir sprinten durch das nächste Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer, Kinderzimmer, und ich sage: »Es war Aids, Evie. Finito. Schwarzblende.«
    Und dann bleibt Evie einfach stehen und sagt: »Warum?«
    Und schon läuft mir das Publikum in tausend Richtungen davon.
    Weil ich wirklich, wirklich, wirklich möchte, dass mein Bruder tot ist. Weil meine Eltern ihn tot wissen wollen. Weil das Leben einfach leichter ist, wenn er tot ist. Weil ich dann ein Einzelkind bin. Weil jetzt mal ich an der Reihe bin, verdammt. Ich.
    Die Zuschauermenge hat sich ausgeklinkt, wir sind allein, und anstelle von Gott sind es nur noch die Sicherheitskameras, die uns beobachten und registrieren, wenn wir Scheiß bauen.
    »Warum machst du so ein Gewese um die Sache?«, sage ich.
    Und Evie schlendert bereits weg, lässt mich allein zurück und sagt: »Nur so.« In ihren eigenen kleinen geschlossenen Kreislauf versunken. Ihr eigenes Poloch leckend, sagt Evie: »Nur so.« Sagt: »Vergiss es.«

6
    A uf dem Planeten Brandy Alexander wird das Universum von einem ziemlich ausgefeilten System von Göttern und Göttinnen beherrscht. Einige sind böse. Andere repräsentieren das absolut Gute. Marilyn Monroe zum Beispiel. Dann gibt es noch Nancy Reagan und Wallis Warfield Simpson. Einige der Götter und Göttinnen sind tot. Andere sind am Leben. Viele sind Schönheitschirurgen.
    Das System verändert sich. Götter und Göttinnen kommen und gehen und machen sich gegenseitig ihren Status streitig.
    Abraham Lincoln sitzt in seinem Himmel und macht aus unserem Auto eine schwebende Blase aus nach Neuwagen riechender Luft: rollt so glatt und sanft wie ein Werbetext. Derzeit, sagt Brandy, ist Marlene Dietrich für das Wetter zuständig. Das ist der Herbst unserer großen Langeweile. Unter grauem Himmel werden wir über die Interstate 5 getragen, im blauen Schmuckkästcheninnern eines Lincoln Town Car. Seth am Steuer. Das ist unsere ständige Sitzordnung, Brandy mit vorn und ich hinten auf dem Rücksitz. Wir durchfahren drei Stunden landschaftlich reizvoller Strecke zwischen Vancouver, British Columbia und Seattle. Asphalt und Verbrennungsvorgänge tragen uns und die Lincoln-Limousine nach Süden.

    Wenn man so reist, ist es, als würde man die Welt im Fernsehen betrachten. Die elektrischen Fenster sind vollständig geschlossen, so dass der Planet Brandy Alexander eine Atmosphäre von warmer, unbewegter, stiller Bläue aufweist. Es herrschen konstante 21 Grad Celsius, während die Außenwelt der Bäume und Felsen im Kleinformat hinter den gewölbten Glasscheiben vorüberzieht. Live über Satellit. Wir sind die kleine Welt der Brandy Alexander und lassen all das im Eiltempo hinter uns.
    Fahrend und immer weiterfahrend sagt Seth: »Ist euch schon einmal die Idee gekommen, das Leben als Metapher des Fernsehens zu betrachten?«
    Unsere Regel ist: Wenn Seth fährt, kein Radio. Sonst passiert es, dass plötzlich ein Song von Dionne Warwick kommt und Seth ganz heftig anfängt zu weinen, große Estinyl-Tränen vergießt und von gewaltigen Provera-Schluchzern geschüttelt wird. Wenn im Radio Dionne Warwick kommt und einen Song von Burt Bacharach singt, müssen wir am Straßenrand anhalten, weil wir sonst garantiert einen Unfall bauen.
    Die Tränen, die Art, wie sein Kloßgesicht die scharf geschnittenen Schatten verliert, die sich sonst bei ihm unter Stirn und Wangenknochen ausbreiten, die Art, wie Seths Hand ständig nach oben kriecht, um durch das Hemd hindurch an seiner Brustwarze zu zupfen, und wie dann sein Mund aufklappt und seine Augen sich verdrehen, das alles kommt von den Hormonen. Die konjugierten Östrogene, das Premarin, das Estradiol, das Ethinylestradiol, sie alle haben ihren Weg in Seths Diätcola gefunden. Bei seiner aktuellen täglichen Überdosis besteht natürlich die Gefahr einer Leberschädigung. Schon jetzt könnte ein Leberschaden vorliegen oder Krebs oder ein Blutgerinnsel,
Thrombose für die Ärzte unter euch, aber dieses Risiko bin ich bereit einzugehen. Klar, das alles macht vor allem einfach

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