Fratze - Roman
Spaß. Zu beobachten, wie sich seine Brüste entwickeln. Zu sehen, wie sein stolzierender Machogang, der die Tussis lockt, Fett ansetzt und er nachmittags jetzt immer ein Nickerchen macht. All das ist toll, aber wenn er tot wäre, könnte ich mich anderen Interessen zuwenden.
Fahrend und immer weiterfahrend sagt Seth: »Findet ihr nicht, dass das Fernsehen uns irgendwie zu Gott macht?«
Diese Innenschau ist neu. Sein Bartwuchs hat nachgelassen. Das muss an den Antiandrogenen liegen, die sein Testosteron zurückdrängen. Die Wasseransammlung im Gewebe kann er ignorieren. Die Stimmungsschwankungen. Eine Träne rutscht aus einem Auge im Rückspiegel und rinnt ihm übers Gesicht.
»Bin ich der Einzige, der sich für solche Probleme interessiert?«, sagt er. »Bin ich der Einzige hier in diesem Auto, der irgendetwas Reales fühlt?«
Brandy liest in einem Taschenbuch. Die meiste Zeit über liest Brandy knallige Hochglanzbroschüren irgendwelcher Schönheitschirurgen über Vaginas, komplett mit farbigen Fotos, die bildschön und anschaulich zeigen, wie eine Harnröhre ausgerichtet werden muss, um einen nach unten zielenden Urinstrahl zu gewährleisten. Andere Bilder zeigen, wie eine Klitorishaube der obersten Qualitätsstufe auszusehen hätte. Hier handelt es sich um Vaginas im fünfstelligen Preisbereich, zehntausend, zwanzigtausend Dollar, besser als die echten, und an den meisten Tagen reicht Brandy die Bilder herum.
Springt drei Wochen zurück, da waren wir in einem großen Haus in Spokane, Washington. Oben in South Hill
in einem Landsitz aus Granit, aus dessen Badezimmerfenstern man auf Spokane hinunterblickt. Ich schüttelte Percodan-Pillen aus ihrer braunen Flasche in mein Handtaschenfach für Percodan. Brandy Alexander war gerade unter dem Waschbecken auf der Suche nach einer sauberen Nagelfeile, als sie dieses Taschenbuch fand.
Jetzt sind all die anderen Götter und Göttinnen von einer neuen Gottheit in den Schatten gestellt worden.
Springt zurück zu Seth, wie er im Rückspiegel auf meine Brüste blickt. »Das Fernsehen macht uns wirklich zu Gott«, sagt er.
Gib mir Toleranz.
Blitz.
Gib mir Verständnis.
Blitz.
Selbst nach all diesen Wochen, die wir jetzt zusammen unterwegs sind, weichen Seths prachtvoll blaue, verletzliche Augen den meinen immer noch aus. Seine wehmütige Innenschau neuerdings, die kann er ignorieren. Die Nebenwirkungen der Medikamente haben auch seine Augen erfasst und die Wölbung der Hornhaut verstärkt, so dass er seine Kontaktlinsen nicht mehr tragen kann, ohne dass sie dauernd rausfallen. Das muss an den konjugierten Östrogenen in seinem allmorgendlichen Orangensaft liegen. Das alles kann er ignorieren.
Es muss das Androcur in seinem Eistee zum Mittagessen sein, aber das wird er niemals durchschauen. Er wird mir nie auf die Schliche kommen.
Brandy Alexander, die nylonbestrumpften Füße auf dem Armaturenbrett, die Queen Supreme ist immer noch in ihr Taschenbuch vertieft.
»Wenn du dir die Nachmittagssoaps anschaust«, erklärt mir Seth, »kannst du alle möglichen Leute beobachten. Jeder Sender zeigt ein anderes Leben, und die Leben wechseln fast jede Stunde. Es ist das Gleiche wie bei diesen Live-Video-Websites. Du kannst die ganze Welt beobachten, ohne dass irgendwer das mitbekommt.«
Seit drei Wochen liest Brandy dieses Buch.
»Über das Fernsehen bekommt man sogar Einblick in das Sexleben der Leute«, sagt Seth. »Klingt das nicht logisch?«
Kann schon sein, aber nur, wenn du jeden Tag 500 Milligramm mikronisiertes Progesteron zu dir nimmst.
Einige Minuten Landschaft ziehen hinter Glas vorbei. Bloß ein paar hoch aufragende Berge, alte tote Vulkane, das übliche Zeugs hauptsächlich, was man draußen so findet. Diese zeitlosen Natürliche-Natur-Motive. Rohmaterial, roher geht’s nicht. Naturbelassen. Unveredelte Flüsse. Schlecht instand gehaltene Berge. Unrat. Pflanzen, die im Erdboden wachsen. Wetter.
»Und wenn du glaubst, dass wir tatsächlich einen freien Willen haben, dann weißt du, dass Gott uns eigentlich nicht lenken kann«, sagt Seth. Seths Hände liegen nicht auf dem Steuer, sondern flattern erklärend durch die Gegend. »Und da Gott uns nicht lenken kann«, sagt er, »tut Er nichts anderes, als zuzuschauen und umzuschalten, wenn’s Ihm langweilig wird.«
Irgendwo ist der Himmel, du bist live auf einer Video-Website, die Gott beim Surfen anklicken kann.
Brandycam.
Brandy, die leeren Fangeisenschuhe auf dem Boden, Brandy leckt sich den
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