Fratze - Roman
beginnen ihren langsamen Marsch im Uhrzeigersinn um den Tisch herum. Die Füllung. Die Oliven. Die Preiselbeersoße.
»Ich wollte rosa Dreiecke, aber rosa Dreiecke sind sowieso auf allen Flicken«, sagt meine Mom. »Das ist das Nazisymbol für Homosexuelle.« Sie sagt: »Dein Vater schlug schwarze Dreiecke vor, aber das würde bedeuten, dass Shane lesbisch war. Es sieht aus wie das weibliche Schamhaar. Das schwarze Dreieck.«
Mein Vater sagt: »Dann wollte ich eine grüne Bordüre, aber wie sich herausstellte, würde das bedeuten, dass Shane Prostituierter war.«
Meine Mutter sagt: »Fast hätten wir uns für eine rote Bordüre entschieden, aber das würde Fisting bedeuten. Braun würde entweder Kaviar oder Rimming heißen, was genau, haben wir nicht rausgefunden.«
»Gelb«, sagt mein Vater, »bedeutet Natursekt.« »Ein hellerer Blauton«, sagt Mom, »steht einfach für normalen Oralsex.«
»Normal weiß«, sagt mein Vater, »würde anal bedeuten. Weiß kann auch bedeuten, dass Shane von Männern in Unterwäsche erregt wurde.« Er sagt: »Ich weiß es nicht mehr genau.«
Meine Mutter reicht mir das gesteppte Huhn mit den noch warmen Brötchen drin.
Wir sollen hier sitzen und essen, während Shane tot vor uns auf dem Tisch liegt.
»Am Ende haben wir einfach aufgegeben«, sagt meine Mom, »und ich habe aus dem Material eine hübsche Tischdecke genäht.«
Dad blickt auf seinen Teller, zwischen die Süßkartoffeln und die Füllung, und sagt: »Weißt du, was es mit Rimming auf sich hat?«
Ich weiß, dass es nichts ist, worüber man bei Tisch spricht.
»Und Fisting?«, fragt meine Mutter.
Ich sage, ich wüsste Bescheid. Manus und seine berufliche Beschäftigung mit Pornoheften lasse ich unerwähnt.
Wir sitzen da, alle Mann um ein blaues Leichentuch herum, auf dem der Truthahn mehr denn je wie ein großes totes gebackenes Tier aussieht, die Füllung besteht aus lauter Organen, die man noch erkennen kann, Herz und Muskelmagen und Leber, die Soße voll von gekochtem Fett und Blut. Der Blumenaufsatz könnte ein Sarggebinde sein.
»Würdest du mir mal die Butter reichen, bitte?«, sagt meine Mutter. Zu meinem Vater sagt sie: »Weißt du, was Felching ist?«
Das geht zu weit. Shane ist tot, aber er steht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit als je zuvor. Meine Eltern fragen sich, warum ich nie nach Hause komme, und das hier ist der Grund. All dieses kranke Sexgerede beim Thanksgiving-Essen, ich kann es nicht ertragen. Immer nur Shane hier und Shane da. Es ist traurig, aber was mit Shane passiert ist, damit hatte ich nichts zu tun. Ich weiß, alle denken, es war meine Schuld. Die Wahrheit ist, dass Shane diese Familie zerstört hat. Shane war böse und gemein, und er ist tot. Ich bin lieb und gehorsam, und ich werde nicht beachtet.
Schweigen.
Was damals passiert ist, ich meine, ich war vierzehn Jahre alt. Jemand hat aus Versehen eine volle Haarspraydose
in den Mülleimer geworfen. Es war Shanes Aufgabe, den Müll zu verbrennen. Er war fünfzehn. Er hat den Küchenmüll in die Tonne gekippt, in der noch der Badezimmermüll brannte, und das Haarspray ist explodiert. Es war ein Unfall.
Schweigen.
Worüber meine Eltern jetzt mal hätten reden sollen, das war ich. Ich hätte ihnen erzählt, dass Evie und ich ein neues Infomercial drehten. Meine Modelkarriere ging jetzt richtig los. Ich wollte ihnen von Manus, meinem neuen Freund, erzählen, aber nichts da. Ob er gut oder böse ist, lebendig oder tot, Shane kriegt immer die ganze Aufmerksamkeit ab. Alles, was ich je kriege, ist die kalte Wut.
»Hört mal«, sage ich. Das kommt jetzt einfach aus mir herausgeplatzt. »Ich«, sage ich, »ich bin das letzte lebende Kind, das ihr noch habt, also fangt ihr vielleicht mal an, mir ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken.«
Schweigen.
»Felching.« Ich senke die Stimme. Ich bin jetzt ganz ruhig. »Felching ist, wenn ein Mann dich ohne Gummi in den Arsch fickt. Er schießt seine Ladung ab, dann legt er seinen Mund auf deinen After und saugt sein eigenes warmes Sperma heraus, plus etwaige Gleitmittel oder Kotspuren, die sich dort befinden. Das ist Felching. Es kann«, füge ich hinzu, »muss aber nicht beinhalten, dass er dich anschließend küsst, um das Sperma und den Kot an dich weiterzugeben.«
Schweigen.
Gib mir Kontrolle. Gib mir innere Ruhe. Gib mir Zurückhaltung.
Blitz.
Die Süßkartoffeln sind genau so, wie ich sie mag, zuckersüß, aber außen knusprig. Die Füllung ist ein bisschen trocken. Ich reiche
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