Fratze - Roman
fressen.
Brandy sagt: »Seth, mein Süßer?«
»Ja, Mutter.«
Was aussieht wie Bulimie, ist die Methode, mit der Weißkopfseeadler ihre Jungen füttern.
Brandy sagt: »Warum musst du eigentlich jedes Lebewesen verführen, das dir über den Weg läuft?«
Noch ein Reklameschild:
Nubby’s - das angesagte Bar-B-Q für Lecker-Schmecker-Chicken-Wings
Noch ein Reklameschild:
Dairy Bite - das Kaugummi mit dem fettarmen Wohlgeschmack von echtem Käse
Seth kichert. Seth wird rot und wickelt Haare um seinen Finger. Er sagt: »Das hört sich ja an, als wäre ich sexsüchtig.«
Du liebe Zeit. Neben ihm komme ich mir vor wie ein Mann.
»O Baby«, sagt Brandy. »Du weißt schon gar nicht mehr, mit wem du alles zusammen warst.« Sie sagt: »Wenn ich das bloß vergessen könnte.«
Seth sagt zu meinen Brüsten im Rückspiegel: »Wir fragen andere Leute nur deswegen, wie ihr Wochenende war, damit wir ihnen von unserem eigenen Wochenende erzählen können.«
Ich schätze, wenn Seth noch ein paar Tage lang die erhöhte Dosis von mikronisiertem Progesteron zu sich nimmt, wird er ein hübsches Paar Möpse austreiben. Nebenwirkungen, auf die ich achten muss, sind unter anderem Übelkeit, Erbrechen, Gelbsucht, Migräne, Magenkrämpfe und Schwindelgefühle. Man versucht die genauen Toxizitätsgrade im Auge zu behalten, aber wozu eigentlich?
Ein Schild rauscht vorbei, darauf steht: Seattle 150 Meilen.
»Komm schon, lass uns die glänzenden, zitternden Innereien sehen, Bubba-Joan«, befiehlt Brandy Alexander, unser aller Gott und Mutter. »Erzähl uns einen unappetitlichen Schwank aus deinem Leben.«
Sie sagt: »Reiß dir die Brust auf. Näh dich wieder zu«, und reicht mir einen Rezeptblock und einen Aubergine-Dreams-Augenbrauenstift nach hinten.
7
S pringt weit zurück zum letzten Thanksgiving vor meinem Unfall, als ich zum Essen bei meinen Eltern nach Hause fahre. Das ist die Zeit, als ich noch ein Gesicht hatte und feste Nahrung also durchaus kein Problem für mich darstellte. Auf dem Esstisch, den sie ganz und gar bedeckt, liegt eine Tischdecke, die ich nicht kenne, aus sehr hübschem dunkelblauem Damast mit Spitzenrand. Da ich nicht unbedingt glaube, dass meine Mom sich so etwas selber kauft, frage ich, ob ihr die jemand geschenkt hat.
Mom rückt an den Tisch heran und faltet ihre blaue Damastserviette auseinander, während alles dampft zwischen uns, zwischen ihr, mir und meinem Dad: Die Süßkartoffeln unter der Schicht von Marshmallows. Der große braune Truthahn. Die Brötchen liegen in einer gesteppten Wärmehaube, die so genäht ist, dass sie wie eine Henne aussieht. Wenn man ein Brötchen nehmen will, hebt man die Flügel an. Daneben eine Kristallschale mit süßsauer eingelegten Gurken und mit Erdnussbutter gefülltem Sellerie.
»Was geschenkt?«, sagt meine Mom.
Das neue Tischtuch. Sehr hübsch.
Mein Vater senkt seufzend sein Messer in den Truthahn.
»Erst sollte es gar kein Tischtuch werden«, sagt Mom.
»Aber dein Vater und ich, wir haben unseren ursprünglichen Plan aufgegeben.«
Noch mehrmals mit dem Messer zustechend, beginnt mein Vater unser Abendessen zu zerstückeln.
Meine Mutter sagt: »Weißt du, was es mit dem ›Aids Memorial Quilt‹ auf sich hat? Mit dieser Flickendecke, wo mit jedem Flicken an einen Aids-Toten erinnert wird?«
Springt zu: wie sehr ich meinen Bruder in diesem Moment hasse.
»Ich habe diesen Stoff gekauft, weil ich dachte, man könnte daraus einen hübschen Flicken für Shane machen«, sagt Mom. »Aber bei der Frage, wie man den gestalten könnte, haben sich Probleme ergeben.«
Gib mir Amnesie.
Blitz.
Gib mir neue Eltern.
Blitz.
»Deine Mutter wollte niemandem auf den Schlips treten«, sagt Dad. Er windet eine Keule ab und beginnt das Fleisch auf einen Teller zu kratzen. »Bei schwulen Sachen muss man ja immer aufpassen, weil alles irgendwie eine verschlüsselte Bedeutung hat. Ich meine, wir wollten nicht, dass es zu irgendwelchen Missverständnissen kommt.«
Meine Mom beugt sich vor, um Süßkartoffeln auf meinen Teller zu schaufeln, und sagt: »Dein Vater wollte eine schwarze Bordüre, aber Schwarz auf blauem Grund würde bedeuten, dass Shane eine Vorliebe für Ledersex hatte, du weißt schon, Bondage und Disziplinierung, Sado und Masochismus.« Sie sagt: »Eigentlich sollen diese Flicken den Hinterbliebenen helfen.«
»Fremde werden uns sehen und Shanes Namen lesen«,
sagt mein Dad. »Wir wollten nicht, dass sie auf falsche Gedanken kommen.«
Die Schüsseln
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