Fratze - Roman
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»Ach du Scheiße«, sagt sie und verdreht die Augen. »Ach du Scheiße .«
Neben Manus’ bewusstlosem Hintern liegt ein Aschenbecher, nein, der Gipsabdruck einer kleinen Hand. Ein Abdruck, wie man ihn in der Grundschule macht, wenn man seine Hand in ein mit feuchtem Gips gefülltes Kuchenförmchen drückt. Als Muttertagsgeschenk.
Brandy streicht Manus ein paar Haare aus der Stirn. »Er ist ja wirklich süß«, sagt sie, »aber ich glaube, er wird einen Hirnschaden davontragen.«
Es ist jetzt viel zu kompliziert, ihr das schriftlich zu erklären, aber Manus hatte schon immer einen Hirnschaden.
Was für ein Jammer, dass es nur das Valium ist.
Brandy nimmt ihre Ray-Bans ab, um besser sehen zu können. Sie nimmt ihr Hermès-Kopftuch ab und schüttelt ihr volles Haar aus: Immer auf eine vorteilhafte Erscheinung bedacht, beißt sie sich auf die Lippen, befeuchtet die Lippen für den Fall, dass Manus aufwacht. »So süßen Typen«, sagt Brandy, »gibt man normalerweise besser Barbiturate.«
Das sollte ich mir merken.
Ich zerre Manus hoch, bis er im Kofferraum sitzt und seine Beine über die Stoßstange hängen. Seine powerblauen Augen flimmern, flattern, zwinkern, blinzeln.
Brandy beugt sich vor uns betrachtet ihn genau. Mein Bruder, der mir meinen Verlobten klauen will. In diesem Moment habe ich nur den Wunsch, dass sie alle tot sind.
»Wach auf, Schätzchen«, sagt Brandy und krault ihn unterm Kinn.
Und Manus blinzelt. »Mommy?«
»Wach auf, Schätzchen«, sagt Brandy. »Alles ist gut.«
»Jetzt?«, sagt Manus.
»Alles ist gut.«
Irgendetwas raschelt, es klingt wie Regen auf einem Zeltdach oder einem geschlossenen Kabrio.
»O Gott.« Brandy weicht zurück. »O Gott, o Gott!«
Manus blinzelt und sieht nach Brandy, dann nach seinem Schoß.
Ein Hosenbein seines Tarnanzugs wird zum Knie hin immer dunkler, dunkler, dunkler.
»Süß«, sagt Brandy, »er hat sich in die Hose gemacht.«
Springt zurück zur Schönheitschirurgie. Spring zu dem glücklichen Tag, an dem du geheilt bist. Seit zwei Monaten hängt dieser Hautstreifen an deinem Hals, nur ist das nicht nur ein einziger Streifen. Wahrscheinlich sind es eher ein halbes Dutzend Stiellappen, weil du, wenn der Chirurg schon mal dabei ist, auch gleich mehrere Sachen auf einmal machen lassen kannst.
Zur Rekonstruktion wirst du diese länglichen Hautstreifen ungefähr zwei Monate lang von deinem Gesicht herunterbaumeln lassen müssen.
Man sagt, Leute nehmen am anderen als Erstes die Augen wahr. Diese Hoffnung solltest du begraben. Du siehst aus wie Fleischnebenprodukte, zerkleinert und ausgespuckt von der Num Num Snack Factory.
Eine Mumie, die im Regen auseinanderfällt.
Eine geplünderte Piñata.
Diese Streifen warmer Haut an deinem Hals sind gesundes, mit Blut versorgtes, lebendes Gewebe. Der Chirurg hebt diese Streifen einen nach dem anderen an und befestigt das geheilte Gewebe an deinem Gesicht. Auf diese Weise ist der größte Teil des in dein Gesicht transplantierten Gewebes nie von der Blutzufuhr abgeschnitten gewesen. Diese ganze lose Haut wird nach oben gezogen und zu den groben Umrissen einer Kieferpartie geformt. Dein Hals besteht aus den Narben, wo zuvor die Haut war. Dein Kiefer ist ein Klumpen aus verpflanztem Gewebe, von dem die Chirurgen hoffen, dass es zusammenwachsen und an Ort und Stelle bleiben wird.
Noch einen Monat lang müsst ihr hoffen, du und die Chirurgen. Noch einen Monat lang musst du dich in der Klinik verstecken und warten.
Springt zu Manus, der in Pisse und Tafelsilber im Kofferraum seines roten Sportwagens sitzt. Erinnerungen an die ersten Töpfchensitzungen. So was kommt vor.
Ich, ich kauere vor ihm und sehe nach der Ausbeulung seiner Brieftasche.
Manus gafft nur Brandy an. Wahrscheinlich hält er Brandy für mich, mein altes Ich, wieder mit Gesicht.
Brandy hat das Interesse verloren. »Er erinnert sich nicht. Er denkt, ich bin seine Mutter«, sagt sie. »Schwester, von mir aus, aber Mutter?«
Noch ein Déjà-vu. Versuch’s mal mit Bruder.
Wir brauchen einen Ort, wo wir bleiben können, und Manus braucht auch etwas Neues. Nicht die alte Wohnung, die er und ich gemeinsam hatten. Er lässt uns in seinem Haus unterkriechen, oder ich sage der Polizei, er habe mich entführt und Evies Haus in Brand gesteckt. Von Mr. Baxter und den Rhea-Schwestern, die mich mit einem Gewehr haben herumfuchteln sehen, kann er nichts wissen.
Mit einem Finger schreibe ich in den Sand:
wir müssen seine brieftasche
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