Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
schätzen!«
Katinka sah ihn zum Rittersaal davonstapfen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie kletterte aus dem Polizeiwagen.
»Na, Meisterdetektivin?«, empfing sie Tom.
Verdammung ist ein Wort, das wir wie so vieles den Römern verdanken.
Die kannten ›damnare‹, welches ›verurteilen‹ bedeutet. Meine Gedanken kreisen um die Frage, ob ich verurteilt bin oder verdammt. Beide Wörter kann man mit einem ›zu‹ ergänzen: Verdammt zur Einsamkeit, verurteilt zur Grübelei. Verdammt zum Leben in einer Höhle aus Erinnerung, die gepanscht ist mit einer Fata Morgana aus der Flasche, in der der berühmte Geist gewohnt hat. Eigenartig, dass Richter verurteilen, aber auch Mitmenschen, dass Gott verdammt, aber auch Mitmenschen dasselbe tun. Verdammen sie uns zur Einsamkeit, zur Selbstverachtung, dann fühlen sie sich stark. Sie verurteilen alle unsere Taten und Meinungen, bis wir beginnen, uns selbst auf einem Hackblock zu stutzen, um das Verurteilenswerte an uns zu entfernen. Ich denke viel über die Hoffnungslosigkeit von Strafen nach. Wem haben Strafen je genützt, außer dem archaischen Hass in unseren Seelen?
15. Depression und ein Schutzgeist
Katinka lag im Bett. Sie hörte die Türklingel, aber sie zog sich die Decke über den Kopf. In den letzten Tagen erlebte sie etwas völlig Neues, das es in ihrem bisherigen Leben nicht gegeben hatte, eine Art innere Versteinerung. Nachts stürzte sie wieder und wieder kopfüber in einen schwarzen Tunnel und ruderte mit den Armen, bis sie Tom auf die Nase schlug, und er sie weckte. Dann lagen sie beide lange wach beim Schein der Nachttischlampe und redeten. Einfach über irgendwas, nur um die morbiden Gedanken im Kopf durch Belanglosigkeiten zu überlagern.
Sie betrachtete ihre zerschundenen Hände. Die abgesplitterten Fingernägel hatte sie ganz kurz geschnitten und einige der aufgesprungenen Stellen mit Zinksalbe eingecremt und verpflastert. Ihre Schulter tat ihr immer noch weh. Wenn sie sich im Schlaf nach rechts drehte, wachte sie von dem stechenden Schmerz auf.
Britta war zu Besuch gekommen, um sich zu verabschieden, bevor sie nach Florenz fuhr, und hatte allerlei fiebriges Zeug von sich gegeben, aber Katinka hatte sich nicht besonders für sie und ihre Aufregung interessiert. Diese Indifferenz wiederum machte sie traurig. Sie quatschte sonst stundenlang mit Britta. Sie würde auch gern ihre Vorfreude auf die Reise teilen. Doch nun fühlte sie sich eingelullt in eine überdimensionale Gleichgültigkeit. Draußen drückte die spätnachmittägliche Dunkelheit gegen das Fenster. Presste die Handflächen dagegen und glotzte zu Katinka herein.
Tom schob seinen Kopf ins Schlafzimmer:
»Kat the Catey, dein Kommissarskollege ist da.«
Katinka stöhnte. Wenigstens sagte er nicht ›Kommissarsfreund‹. Ihr Magen zog sich zusammen.
»Was will er?«
»Fragen, wie es dir geht, vermute ich. Nachdem du nie den Telefonhörer abnimmst oder mich mit dem Telefon in der Hand wieder davonjagst … Außerdem hat er dein Fahrrad im Kofferraum.«
»Komme.«
Katinka kämpfte sich aus dem Bett. Ihr linker Fußknöchel war geschwollen. Sie musste unmittelbar vor dem Sturz über die Brüstung umgeknickt sein. Trotz Toms Drängen weigerte sie sich, zum Arzt zu gehen. Tom versuchte es mit Quarkwickeln. Katinka fühlte sich schofel, als sie daran dachte, wie rührend Tom sie umsorgte. Ihr war ganz und gar nicht klar, wie sie seine Fürsorge zurückgeben sollte, und er sagte wieder und wieder, dafür seien sie doch zusammen. Um füreinander da zu sein. Wahrscheinlich machte sie sich komplizierte Gedanken, wo nur stille Akzeptanz vonnöten wäre. Durch den Sturz und die Rettung in letzter Sekunde schien ihr, als sei ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden. Alles kam durcheinander, wie in einem schlampig gepackten Koffer, den man in alle Richtungen schüttelte, bis nichts mehr an dem Platz steckte, wo es zuvor gewesen war. Ein schlichtes, nichts sagendes Chaos. Dieses Gefühl war so übermächtig und bedrohlich, dass sie es vorgezogen hätte, überhaupt nichts mehr zu fühlen. Kurz dachte sie an Grit und Ida und an ihren Unfall. Ob sie genauso empfunden hatten? Ida konnte sie nun nicht mehr fragen.
Sie zuckte vor Schmerz zusammen, als sie aufstand.
In der Küche saßen Hardo und Tom in trauter Einigkeit, tranken Kaffee und aßen Kuchen.
»Hallo.«
Katinka erschrak über ihre eigene Stimme. Sie klang schlaff und müde. Irgendwo tief drinnen hoffte sie, alles würde sich
Weitere Kostenlose Bücher