Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
einrenken und sie würde zu ihrer alten Form finden.
»Katinka«, sagte Hardo. Aus den Augenwinkeln sah sie Toms Grinsen. Sie wusste nicht einmal, wie Hardo ihrem Freund den Sturz erklärt hatte. Er musste die ganze Geschichte jedenfalls in einen sehr überzeugenden Plot eingekleidet haben, denn Tom hatte kein einziges Mal über die Gefährlichkeit ihres Jobs lamentiert. Das war neu.
Sie setzte sich mit an den Tisch. Die Stille erschreckte sie und legte sich um sie wie Metallspangen.
»Ich bin gekommen, um meine Jacke abzuholen«, sagte Hardo schließlich mit einem Lächeln, das von einem Mundwinkel zum anderen hopste und dann verschwand. »Allmählich ist es doch zu kalt, um«, er wies aus dem Fenster, »ohne zu gehen.«
»Ich habe gar nicht mehr dran gedacht«, sagte Katinka schnell. Ihr fiel auf, dass er über seinem üblichen karierten Hemd einen marineblauen Troyer trug. Sie stellte sich vor, wie in seinem Kleiderschrank ein ganzer Trupp Holzfällerhemden und Jeanshosen in Habachtstellung ausharrte. »Tut mir echt leid.«
Er warf zwei Handvoll von irgendetwas Unsichtbarem über seine Schultern, wie um zu sagen, halb so wild, sei’s drum. Aus einer Plastiktüte fischte er ein Buch. » Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Vielleicht mögen Sie das.«
»Dankeschön«, sagte Katinka überrascht. Sie nahm den Band und blätterte. Die Buchstaben klebten wie zerdrückte Stechmücken auf den Seiten. Unsicher tastete sie nach ihrer Nase und vermisste die Brille.
Er winkte ab. »Interessiert Sie das Ergebnis der Spurentechniker?«
»Schon«, gab Katinka zu. Sie atmete tief durch und griff nach der Kaffeekanne. »Schießen Sie mal los.«
Es war anstrengend, Interesse zu zeigen, aber vielleicht wurde wieder Gewohnheit daraus. Sie wollte es wissen, sie wollte es nicht wissen, zu gleichen Teilen. Somit war es unerheblich, ob sie sich für oder gegen die Information entschied.
»Außer Ihren Abdrücken«, er hob eine Plastiktüte hoch, in dem Katinkas linker Schuh schwebte wie ein Goldfisch im Beutel der Zoohandlung, »und denen von Dütsch und mir haben wir noch Abdrücke von Turnschuhen gefunden. Der Boden war durch den Regen ja ziemlich aufgeweicht.«
»Was für Abdrücke?«, fragte Katinka.
Sie angelte sich ein Stück Herrentorte. Tom hatte sie selbst gebacken.
»Größe 40.«
Katinka bremste die Gabel, die das erste Stück Kuchen zum Mund führen wollte.
»40?«
»Wundert Sie das?« Es klang interessiert.
Katinka legte die Kuchengabel auf ihren Teller.
»Ziemlich … klein.«
»Das ist genau Ihre Größe«, sagte Uttenreuther.
Tom stand auf und setzte neues Kaffeewasser auf.
»Eben«, sagte Katinka. »Welcher Mann hat schon Größe 40.«
»Sie haben mit einem Mann gerechnet?«
»Ich weiß nicht«, sagte Katinka und sah Toms Bewegungen zu. Ganz ruhig spülte er die Glaskanne, reinigte den Stempel, gab frisches Kaffeepulver hinein.
»Der Stoß fühlte sich so kraftvoll an. Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll.«
Sie vertilgte das Stück Herrentorte und legte die Gabel wieder weg. Mit einem Küchentuch wischte Tom ein paar Kaffeekrümel fort.
»Wenn ich mir den Moment noch mal genau vorstelle«, sagte sie, »dann fühle ich einen Stoß, der …« Sie brach ab. Hardo sah sie ruhig an. In seinem Gesicht sammelte sich die Spannung. Tom goss das brodelnde Wasser in die Glaskanne.
»Derjenige, der mich gestoßen hat«, sagte Katinka, »hat das ganz entschieden getan. Keine Sekunde gezögert. Wie ein Karatekämpfer vielleicht, der voller Konzentration darangeht, einen Stapel Ytong-Platten zu zertrümmern.«
»Und das traust du bloß einem Mann zu«, kam es belustigt von Tom.
»Vergiss es«, sagte Katinka und versuchte ein Grinsen. »Ich kann es mir für Hasseberg vorstellen, für den Türwächter, aber …« Sie nahm sich ein neues Stück Kuchen.
»Philipp Hasseberg?«, fragte Uttenreuther. Katinka kam es vor, als hielte er in Lauerstellung inne.
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Er …« Katinka verstummte. Tom drückte den Stempel der Kaffeekanne nach unten. »Er wirkte so komisch. Nicht willenlos. Aber matt.«
»Hochzeiten scheinen anstrengend zu sein, oder?«, fragte Tom.
»Sind sie«, erklärte Hardo. »Ich weiß, wovon ich rede.«
Katinka schob Tom ihre leere Tasse hin.
»Ich kann es nicht erklären, aber irgendwas sorgt dafür, dass ich mir Philipp als … als denjenigen, der mich gestoßen hat, nicht vorstellen kann.«
Sie schwieg. Harduin Uttenreuther gab nach langen
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